Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
Standpunkt aus betrachtet? Er war mit mir fertig, vielleicht kam er gar nicht auf den Gedanken, daß ich noch immer - ach, was für ein Unsinn, Beate. Es war bestenfalls gedankenlos. Aber was er von der kleinen Locke im Ohr schrieb - das war gemein!
Gut. Er kann nichts dafür, daß er sich in eine andere verliebt hat. Und zwischen ihm und mir ist nicht so viel gewesen - nach seinen Begriffen jedenfalls -, daß er zu einer wirklichen Auseinandersetzung verpflichtet wäre.
Also Schluß! Kein Gefackel, Beate! Punkt und Schluß!
Da saß ich nun allein unter fremden Menschen, hatte keine einzige Seele, mit der ich reden, nicht einen, den ich um Rat fragen konnte, nicht eine Schulter, an der ich mich ausweinen konnte, wenn ich dessen bedurfte.
Nun gut. Dann mußte ich eben ohne auskommen.
Mein Leben war doch wahrhaftig nicht unausgefüllt. Ich hatte genug Aufgaben. Es war ein Segen, daß ich mich meinen Pflichten in der Familie Rywig gründlich widmen konnte, ohne von einer unglücklichen Liebe abgelenkt zu sein.
Oh, wie vernünftig waren die Überlegungen, die ich hier unter dem brummenden Trockenapparat anstellte. Hatte ich vielleicht ein bißchen von Vatis kühler Vernunft und unbestechlicher Logik geerbt?
Zwar war ich unerfahren. Aber blöde war ich nun doch nicht.
So wollte ich mich denn aus ganzer Kraft dafür einsetzen, dem Doktor und seinen Kindern Behaglichkeit und Harmonie zu schaffen. Sollte das nicht eine Aufgabe sein, groß genug für eine Frau von dreiundzwanzig Jahren?
Niemals, niemals würde ich Bernts erwachsene, entsagungsvolle Stimme vergessen als er leise sagte: „Das Erstgeburtsrecht verkaufe ich gern...“
Der Doktor war stumm geworden, seine Augen waren an der geschlossenen Tür hängengeblieben, als Bernt gegangen war.
Und stumm hatte er Hansemann auf den Rücken genommen und nach oben getragen. Hinterher hatte er sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen.
Ich hatte Dr. Rywig gern. Sein Lächeln, wenn es sich ausnahmsweise einmal zeigte, hatte Wärme, und seine Augen sahen klug aus. Ich hatte die vergnügten Zwillinge mit der Quirligkeit und der Schalkheit gern. Ich hatte Hansemann eigentlich auch ganz gern
- es war ja nicht seine Schuld, daß er so unbeschreiblich verzogen war. Bis jetzt hatte ich den Jungen immerhin dazu gebracht, daß er aß, oh, ich würde ihn sicherlich zurechtstutzen können. Den kleinen Hansemann...
Ich hatte Bernt gern. Ich war ihm zugetan, und er tat mir in der Seele leid. Der einsame, intelligente, ernste Junge.
Ja. Was hatte Hansemanns Verzogenheit schon zu besagen? Was hatte das Getobe der Zwillinge zu besagen? Ich wollte in allererster Linie dafür sorgen, daß Bernt geholfen würde. Bernt sollte fühlen, daß er in mir einen Freund hatte. Ich mußte ihn so weit auftauen, daß der Vater auch endlich merkte, was er an seinem ältesten Sohn besaß. Daß da eine kleine Mannsperson stand, gewissermaßen mit ausgestreckten Händen, und darauf wartete, seines Vaters Kamerad zu werden.
Die Friseuse kam und nahm die Trockenhaube weg und legte die Frisur. Aus dem Kabinett nebenan ließ sich eine Stimme vernehmen:
„Dann schreibe ich Sie für den nächsten Freitag um dieselbe Zeit auf, Fräulein Langeböe. Ist es recht?“
Da fuhr ein Stich quer durch meinen Vernunftpanzer. Ganz tief drinnen tat es weh. Vielleicht hatte ich trotz allem bis zu diesem Augenblick geglaubt, alles sei am Ende doch nur Zufall.
Aber auch Zufälle haben ihre Grenzen. Grüne Spinne auf gelbem Mantel - die konnten andere vielleicht auch haben. Die alte Melodie aus der Jugendzeit meiner Eltern - die war wirklich ziemlich bekannt. Aber gelber Mantel und grüne Spinne und Putschikammelodie und dazu noch der Name Langeböe - der Name von Axels Chef - nein, das war ein bißchen zuviel auf einmal, als daß es hätte ein Zufall sein können. „Ist es so recht, Fräulein Hettring?“
„Ja, danke, sehr schön. Aber - ach schauen Sie, würden Sie so nett sein - diese Locke kitzelt mich immer im Ohr - schneiden Sie die doch bitte noch ab!“
Eine blanke Schere kam und schnitt die Locke ab und alles, was mich noch mit Axel verband.
Samstagschäker
Ausnahmsweise war der Doktor einmal so früh nach Hause gekommen, daß wir zusammen essen konnten. Ich empfand einen gewissen Triumph, als ich sah, wie erstaunt er nach dem jüngsten Sproß des Hauses blickte. Denn Hansemann aß ohne Widerspruch eine ganz hübsche Portion Fisch mit Kartoffeln, er war sanftmütig und vergnügt und benahm sich wie
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