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Rywig 01 - Bleib bei uns Beate

Titel: Rywig 01 - Bleib bei uns Beate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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jedes andere Kind.
    Bei Tisch wurde kein Wort über dieses Wunder geäußert. Der Doktor fragte Bernt und die Zwillinge, wie es in der Schule gehe, die Zwillinge erzählten bereitwillig und mit vielem Gekicher, Bernt antwortete einsilbig, aber nicht unfreundlich.
    „Möchten Sie den Kaffee gleich haben, Herr Doktor?“ fragte ich, als wir fertig gegessen hatten.
    „Ja bitte, und diesmal lasse ich mich nicht mit Äpfeln abspeisen“, lächelte der Doktor. „Ich bleibe heute nachmittag zu Hause, wenn mein Schicksal und die Klinik und die Patienten es wollen. Ich habe eine widerwärtige Arbeit vor mir.“
    „Eine widerwärtige Arbeit?“
    „Ja, ich muß die Quartalsabrechnung machen. Das muß auch sein.“
    „Ich dachte, das macht die Sprechstundenhilfe?“ sagte ich.
    „Das tut sie auch sonst. Aber sie ist krank geworden, das arme Ding. Sie hat die Grippe, und ich habe mir eine junge Hilfsschwester aus der Klinik ausgeliehen, aber die hat keine Ahnung von so einer Abrechnung. Ja, also, Kaffee bitte, und so bald wie möglich, Fräulein Hettring, das wäre großartig!“
    Als ich mit dem Kaffee ins Arbeitszimmer zurückkam, sah mir der Doktor lächelnd entgegen.
    „Sagen Sie bloß, was für ein Wunder haben Sie an meinem Jüngsten vollbracht? Der Bengel ißt ja plötzlich!“ Ich lachte. Sollte ich beichten?
    „Gegessen hat er wohl immer, nur kein Mittagbrot. Er hat Keks und Schokolade und alles mögliche durcheinander gegessen und immer außerhalb der Mahlzeiten.“
    „Gnade mir Gott!“ rief der Doktor. „Dabei binde ich sämtlichen Müttern auf die Seele, daß die Kinder außerhalb der Mahlzeiten nichts essen sollen. Ich bin wirklich ein glänzendes Vorbild mit
    meiner eigenen Brut!“
    „Der übrige Teil der Brut ist mustergültig“, sagte ich. „Und Hansemann - na ja, ich war allerdings von Anfang an unerbittlich, und er bekam nicht einen Happen außerhalb der Mahlzeiten. Ich habe mich mit Maren zusammengetan, und Bernt und die Zwillinge durchschauten die Absicht und standen auf meiner Seite, und dann ging es.“
    „Und Hansemann?“
    „Er hat an dem ersten Nachmittag drei Stunden geschrien. Am nächsten Tag aß er etwas besser, am dritten aß er fast normal, und jetzt geht es prächtig. Der kleine Kerl hat einen gesunden Appetit, er fand es eben nur unterhaltend, daß er auf diese Weise Mittelpunkt war und viel Aufhebens von ihm gemacht wurde.“
    Der Doktor schwieg eine Weile, dann sah er mich wieder an. „Man merkt, daß Sie die Tochter eines Pädagogen sind“, sagte er und lächelte fein. Er wollte wohl noch mehr sagen, besann sich aber und schob die Kaffeetasse zurück.
    „So, nun muß ich wohl an diese widerwärtige Arbeit gehen...“ Ich nahm die Tasse, blieb aber stehen.
    „Darf ich mir eine Frage erlauben, Herr Doktor?“
    „Ja, gewiß.“
    „Diese Abrechnungen - ist das nicht etwas, was jedes halbwegs begabte junge Mädchen tun kann, wenn man es ihr erst erklärt hat?“ „Na ja - sagen wir, ein bißchen mehr als halbwegs begabt.“ Er lachte. „Sie haben doch nicht etwa die Absicht, sich anzubieten?“ „Nein“, erwiderte ich. „Aber, Herr Doktor...“, und jetzt purzelten die Worte übereinander, denn was ich dem Doktor begreiflich machen wollte, das lag mir ungemein am Herzen. Ich wollte so gern, so furchtbar gern, daß er Ja sagen solle - „Herr Doktor, weshalb fordern Sie Bernt nicht auf, Ihnen zu helfen? Der Junge ist viel, viel intelligenter als ein achtzehnjähriges junges Mädchen. Er ist so gründlich und zuverlässig, wie ein Mensch es sich überhaupt wünschen kann - und Sie können ihm doch genausogut Schweigepflicht auferlegen wie jeder beliebigen Sprechstundenhilfe. Und außerdem.“
    Zu meinem Schrecken kippte meine Stimme über. Ich konnte nicht weitersprechen. Mein Kinn zitterte, und ich mußte mir so fest auf die Unterlippe beißen, daß es weh tat.
    Der Arzt machte ein ernstes Gesicht. Er schwieg. Da wußte ich, daß er den gleichen Gedanken hatte wie ich. Bernts stille, traurige
    Stimme fiel ihm ein, als er kürzlich sagte: „Das Erstgeburtsrecht verkaufe ich gern, und ich verlange nicht einmal ein Linsengericht dafür.“
    Ich stand mit der leeren Kaffeetasse in der Hand da, und ich zwang mich, ganz ruhig zu bleiben.
    „Sagen Sie mal“, jetzt sprach der Arzt ganz leise, „da Sie doch offenbar ein Herz und eine Seele mit meinen Kindern sind - haben Sie den Eindruck, daß Bernt auf Hansemann eifersüchtig ist?“
    „Nein, Herr Doktor!“ sagte ich, und

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