Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
Sonja, putz dir deine Nase, du schniefst ja wie ein kleines Ferkel.“
Sonja putzte sich die Nase und sah mich prüfend an.
„Ich glaube, wir müssen uns damit abfinden, Beate - du irrst dich
nie mehr bei uns.“
Ich kniff die Augen zusammen. Tatsächlich - ich hatte nicht nachzusehen brauchen, wer Putzpomadefinger hatte. Ich hatte die Namen ganz richtig gebraucht. Ich wußte, welche ich vor mir hatte. Woher ich das wußte, das kann ich nicht sagen - ich wußte es einfach. Ich sah die beiden völlig gleichen Gesichter an, und ich war nicht eine Sekunde im Zweifel, wer Senta war und wer Sonja. Da mußte ich lachen.
„Soll ich euch mal was sagen“, rief ich, „dies ist der zweitgrößte Triumph, den ich hier im Haus erlebe.“ Die beiden lachten auch. „Und was war der größte?“
„Daß Hansemann sich selber an- und auszieht.“
„Stell dir bloß vor“, sagte Sonja. „Wenn Tante Julie hier plötzlich auftauchte, die würde einen Schlaganfall kriegen. Sie würde es für Tierquälerei halten, daß du Hansemann hast hungern lassen und obendrein auch noch verlangst, daß dies hinreißende Baby sich allein anziehen soll.“
„Du bist genauso frech wie deine Schwester, Sonja“, sagte ich. Es war mir beim besten Willen nicht möglich, in Tante Julies Namen ärgerlich zu werden. „Einmal mußte doch dies hinreißende Baby ein richtiger Junge werden, und das geschah nun zufällig in der letzten Zeit.“
Die Zwillinge sahen mich an. Mit ihren blauen Augen, die vor Übermut blitzten und von gesunder Intelligenz funkelten.
„Weißt du, wie du mir jetzt vorkommst, Beate? Wie Tante Julie, wenn sie uns erzählte, daß der Storch die kleinen Kinder bringt. Deine Stimme klingt genauso wie bei allen Erwachsenen, wenn sie Kindern etwas weismachen wollen, woran sie selber nicht glauben.“ Ich mußte lachen.
„Wißt ihr, was meine Mutter zu meinen Brüdern sagte, als sie klein waren, zu Nico und Jan, wenn sie unartig waren? Ich hätte die größte Lust, den einen von euch zu nehmen und den anderen damit zu verhauen. Rauf mit euch an die Schularbeiten, ihr Rangen, sonst nehme ich einen und verhaue den anderen damit.“
„Versuch’s doch mal“, lachten die ausgelassenen Gören. Ich blieb sitzen und lachte vor mich hin. Wie hatte ich die beiden munteren, unbefangenen Kinder liebgewonnen.
Aber das, was ich gesagt hatte, entsprach nicht ganz der Wahrheit. Mein größter Triumph in diesem Hause war nicht Hansemann. Meinen größten Triumph hatte ich vor ein paar Tagen gehabt. Da hatte Bernt mir aus freien Stücken gezeigt, was ihn tagaus, tagein in Anspruch nahm.
Es war eine große Sammlung gepreßter Gebirgspflanzen. Es war das hübscheste Herbarium, das ich jemals gesehen hatte.
„Du mußt wissen“, hatte Bernt erklärt, „die Naturkundelehrer von fünf verschiedenen Oberschulen haben sich zusammengetan und veranstalten jeden Herbst einen Wettbewerb unter ihren Schülern. Man soll dazu das beste Herbarium von Pflanzen einer bestimmten Art einliefern - man kann die Pflanzen selber wählen. Im vorigen Jahr hatte ich nur Strandgewächse gesammelt, da war ich im Sommer an der See.“
„Hast du einen Preis bekommen?“
„Ja, den zweiten. Aber dies Jahr...“
„Dies Jahr bist du auf den ersten aus, wenn ich dich recht verstehe?“
Bernt lächelte ein wenig.
„Ja, weißt du, ich - ich hoffe natürlich, daß ich ihn kriege. Wir waren diesen Sommer auf dem Fjäll, Tante Julie und Hansemann und die Zwillinge und ich. Papa war auf einem Kongreß in England. Da habe ich jeden Tag Pflanzen gesammelt und sie gepreßt - das heißt, ich mußte sie erst bestimmen, und dann schrieb ich nur Namen und Art auf einen kleinen Zettel, den ich mit jeder Pflanze zusammen ablegte. Als ich von den Ferien nach Hause kam, fing ich an, sie auf Bogen aufzukleben und draufzuschreiben - sieh mal, so wie dies hier...“
Ich durfte in dem Herbarium blättern, und mir fiel alles wieder ein, worüber ich selber in der Schule gebüffelt und geschwitzt hatte: die Pflanzen, die von der Schwester auf den Bruder vererbt wurden, und umgekehrt die Pflanzen, die wir uns von Schulkameraden ausborgten, um die jämmerlichen fünfzig Stück zusammenzubekommen, die man bei der Prüfung von uns verlangte.
Meine Bewunderung für Bernt wuchs. Etwas so Hübsches hatte ich noch nie gesehen. Mit der zierlichsten Schönschrift stand da der Name der Pflanze auf norwegisch und auf lateinisch und dann der Tag, an dem sie gefunden worden war.
„Aber
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