Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
in der Milch herumgerührt hatte, riß mir die Geduld.
„So, jetzt ist es Schluß. Du gehst eben ohne Essen ins Bett, und zwar auf der Stelle.“
Meine Stimme klang so böse und so bestimmt, daß selbst Hansemann erschrocken war. Er schlurfte ohne Widerrede hinaus.
Zehn Minuten lang war es still. Ich mußte mir die Augen mit dem Schürzenzipfel wischen. Mich beherrschte nur ein einziger Gedanke. Wie ich Bernt helfen, ihn trösten sollte, alles aufsammeln könnte, was noch an heilen Pflanzen und Bildern da war.
Aber Bernt hatte mich gebeten, zu gehen. Weiß im Gesicht, zu Stein erstarrt, krampfhaft beherrscht hatte er mich weggeschickt.
Armer Bernt - lieber, lieber Junge...
Da tönte ein Kreischen durch das Haus, ein so durchdringendes Kreischen, daß ich zusammenfuhr. Eine Tür knallte oben zu, schnelle, stolpernde Schritte - und da kam Hansemann im Schlafanzug die Treppe heruntergelaufen. Sein Gesicht war tränenüberströmt, im Arm hielt er einen unbestimmbaren, gelblichgrauen Gegenstand.
Er weinte zum Erbarmen, schrie immer wieder auf vor Entsetzen, vor Verzweiflung. „Hansemann, was ist denn los?“
„Teddy - Teddy ist tot. Bernt hat Teddy totgemacht!“
Ich nahm den Jungen mit ins Wohnzimmer und schaute mir die gelblich-grauen Reste des Bären an, den er im Arm hielt.
Der Bär hatte keine Arme und Beine mehr, und der Rumpf war von oben bis unten aufgeschlitzt, so daß die Holzwolle herausquoll.
Hansemann saß auf dem Fußboden mit dem zerstörten Petz im Arm. Er schluchzte so herzzerreißend, daß er mir trotz allem leid tat. Dies war tausendmal schlimmer als alle Prügel der Welt. Der Bär war für Hansemann viel mehr als ein Plüschpetz mit abgeschabten Haaren. Der Bär war ein Wesen, mit dem er redete und schlief. In Hansemanns kindlicher Phantasie war Teddy ein lebendiges Wesen, ein Freund.
Und dieser Bär war nun umgebracht worden, auf die grausamste Weise umgebracht.
„Oh, mein Teddy - mein Teddy - Teddy ist tot - Teddy ist tot -Bernt hat Teddy totgemacht...“
„Was ist hier los?“
Ich drehte mich um. Der Doktor stand in der Tür. Niemand hatte ihn kommen hören. Hinter ihm sah ich die erschrockenen Mienen der Zwillinge. Dr. Rywig stellte seine große Tasche aus der Hand und schmiß den Hut in einen Sessel. Kein Wunder, daß er entsetzt war. Hansemann sah aus, daß er einen Stein zum Weinen bringen könnte, geschweige denn ein liebevolles Vaterherz. Hansemanns schwarze Augenwimpern waren naß von Tränen, seine Locken waren verfilzt, das Gesicht war rot und geschwollen, und mit den Armen preßte er den Bären an sich.
„So, mein Junge“, der Vater hob Hansemann hoch. „Was hat Bernt getan? Nein, ist das denn möglich - soso, Hansemann, nicht weinen, Teddy ist nicht tot, er ist nur krank, und du weißt, Papa ist Doktor, ich werde den Teddy operieren, und morgen ist er wieder gesund.“
Die Tränen versiegten allmählich. Hansemann schluckte ein paarmal auf, während er auf seines Vaters Arm saß.
„Kannst du ihn denn gesund machen, Papa?“
„Ganz gesund, Hansemann. Er wird nur eine kleine Narbe auf dem Bauch behalten, so wie du, weißt du, dort, wo dein Blinddarm mal gesessen hat. Damals bist du doch auch aufgeschnitten worden, und du weißt doch noch, wie schnell du wieder gesund geworden bist. So, laß mir den Teddy hier, Beate und ich machen ihn wieder heil. Beate hilft Papa dabei - und die Zwillinge bringen dich jetzt rauf, und du wirst schön schlafen. Und wenn du wieder aufwachst, dann ist Teddy ganz gesund.“
Als die Zwillinge mit Hansemann abgezogen waren, wandte Dr. Rywig sich zu mir um. Und jetzt war seine Stimme nicht mehr zärtlich und tröstend.
„Fräulein Hettring. Stimmt’s, daß Bernt das gemacht hat?“
„Ja - ich - ja, es muß wohl so sein, aber...“
„So - dann wird Bernt es mit mir zu tun bekommen.“ Der Doktor drehte sich auf dem Absatz um und ging aus dem Zimmer. Ich horchte. Nein - er ging nicht nach oben. Er ging in die Küche - dort hörte ich die Tür zum hinteren Flur gehen - was wollte er denn dort?
Mit einem Male stockte mein Herzschlag. Im Küchengang stand ein Rohrstock, mit dem wir Kissen und Polsterstühle zu klopfen pflegten.
Großer Gott - er wollte Bernt schlagen. Das durfte er nicht -unter keinen Umständen. Dieser Junge mit dem feinen Ehrgefühl -das würde das Ende von allem sein. Nie im Leben würde Bernt dem Vater eine solche Demütigung verzeihen - nein, nein - der Doktor durfte Bernt jetzt nicht gegenübertreten. Er
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