Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
Autofahrt auf die Höhen um Oslo. Mutti war selig wie ein Kind.
Montagmorgen kam mein Fräulein Schwester aus der Klinik, frisch wie ein Fisch, und verkündete nach rechts und nach links, daß sie nun nicht mehr durch die Nase spreche. Sie nützte ihre wiedergewonnene Redegabe auf das äußerste aus.
Mutti und ich hatten kein bißchen Zeit, uns mit ihr abzugeben, denn am Mittwoch hatte Bernt Geburtstag, und wir hatten geheime Besprechungen und dachten uns alles mögliche aus, genauso, wie wenn meine eigenen Brüder Geburtstag haben.
Die Zwillinge waren rührend. Sie erboten sich ganz von selbst, Kindermädchen bei Heidi und Hansemann zu spielen, der übrigens von jenem Tag seinen Taufnamen zurückerhalten hatte. Heidi weigerte sich entschieden, ihn Hansemann zu nennen, und da sie hartnäckig den Namen „Hans Jörgen“ gebrauchte, wurden wir alle davon angesteckt.
Am nächsten Morgen, als die Zwillinge in die Schule gegangen waren, erklärte Hans Jörgen, er wolle nicht in den Kindergarten. „Ich will mit Heidi spielen“, verkündete er auf das entschiedenste. „Na gut“, sagte ich. „Dann hinaus in den Garten mit euch! Aber nun mußt du Kavalier sein, Hans Jörgen. Denk daran, du bist Gastgeber, und Heidi ist dein Gast.“
Es waren noch keine drei Minuten vergangen, da unterhielt Heidi sich lebhaft mit einem kleinen Mädchen jenseits des Gartenzauns. Das mußte Lieselotte Erlestad sein. Sie mochte ungefähr so alt sein wie Heidi. Merkwürdig: Wir hatten nicht die geringste Verbindung mit unseren Nachbarn. Zu Hause, in Tjeldsund, da schauten die Nachbarinnen immer kurz zu Mutti herein, holten sich ein Rezept, oder wir liehen uns beim Nachbarn das Waffeleisen aus, oder trugen die Kostprobe von einem Kuchen hinüber. Hier im Hause standen wir kaum auf Grüßfuß mit den Nachbarn.
Nach weiteren zehn Minuten war Lieselottchen in unserem Garten drüben, und alle drei saßen in der Sandkiste und bauten nach Heidis Anweisungen Wege und Türme und Treppen. Heidi war nicht umsonst bei ihren Brüdern in die Sandkistenlehre gegangen.
So verging eine halbe Stunde in größtem Frieden. Da erscholl aus dem Garten lautes Geschrei. „Mama, Mammmaaaa!“
Ich war wie der Blitz aus der Tür. Gleichzeitig ging die Tür des Nachbarhauses auf. Eine junge Frau - vermutlich Frau Erlestad -kam herausgestürzt.
Sie hatte allen Grund, zu stürzen. Denn mitten in der Sandkiste saß ihre schreiende Tochter, aus einer Wunde an ihrer Stirn strömte Blut.
Hilf Himmel! Hansemann stand mit einer Schaufel in der Hand daneben. Kein anderer konnte der Missetäter sein!
Er stimmte jetzt in Lieselottchens Gebrüll ein. „Ich hab es nicht mit Absicht getan! Ich hab es nicht mit Absicht getan!“
Als nun Lieselotte und Hansemann beide so laut schrien, fand Heidi wohl, daß sie sich nicht ausschließen dürfe. Es war ein Terzett, das Tote auferwecken konnte.
„Bist du still, Hans Jörgen“, rief ich. „Kein Mensch hat behauptet, daß du es mit Absicht getan hast. Heidi, marsch, hinein zu Mutti, laß das Geheule. Frau Erlestad - Sie sind Frau Erlestad, nicht wahr? - es tut mir schrecklich leid, kommen Sie bitte mit herein, wir verbinden Ihre Kleine sofort.“
Gottlob war meine Mutter da. Sie war mit solchen Zwischenfällen vertraut.
„Wasserstoffsuperoxyd und ein Pflaster“, sagte Mutti, nachdem sie sich den Schaden besehen hatte. Wir wuschen Lieselottchen das Blut vom Gesicht, klebten ein Pflaster auf die Wunde und schenkten ihr zum Trost einen Keks, und alsbald legte sich der Sturm.
Frau Erlestad war eine verständige Frau.
„Du lieber Gott, so etwas kommt vor, wenn Kinder zusammen spielen“, sagte sie gleichmütig. „Besten Dank für die Hilfe - Sie scheinen Übung in so was zu haben. Frau - Frau.“
„Hettring“, sprang Mutti ihr bei. „Ja, ich habe allerdings eine gewisse Übung, ich habe nämlich fünf Söhne und drei Töchter - dies ist die Älteste.“
„Ach, Sie sind doch die Wirtschafterin von Dr. Rywig?“ fragte Frau Erlestad. „Ich habe Sie öfter gesehen, wenn Sie einholen gingen und so.“
„Ja, das stimmt haargenau, das bin ich“, sagte ich. „Frau Erlestad, meine Mutter und ich wollten eben einen Vormittagstee trinken, möchten Sie uns nicht Gesellschaft leisten, auf den Schrecken?“ Oh, das wollte Frau Erlestad gern.
Mutti unterhielt sich dann so nett mit ihr, wie sie all die vielen Jahre mit ihren Nachbarn daheim geredet hatte, und ehe Frau
Erlestad ging, hatte sie Muttis Waffelrezept bekommen,
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