Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
kühl.
„ Warum hast du Mädchenhaare, wo du doch ein Junge bist?“ war ihr erstes Wort.
„Ich hab keine Mädchenhaare. Ich hab Locken“, erklärte Hansemann.
„Du siehst aus wie’n Mädchen“, entschied Heidi. Dann wandte sie sich an Dr. Rywig.
„Warum heißt er Hansemann?“
„Aber Heidi!“ ermahnte die Mutter.
„Ja, da hast du schon recht“, meinte der Doktor. „Getauft ist er Hans Jörgen, aber wir haben mal mit Hansemann angefangen...“
„Ich hab ‘ne Puppe, die heißt Hansemann“, sagte Heidi. „Das ist ‘n Puppenname. Ich nenne dich Hans Jörgen“, sagte sie abschließend und drehte sich zu dem jungen Mann um. „Hast du auch Polypen in der Nase?“
„Nein“, sagte Hansemann niedergeschmettert. Dann hellte sich seine Miene auf: „Aber ich hab ‘n Blinddarm gehabt.“
Damit war die Verbindung hergestellt, und jetzt kamen Bernt und die Zwillinge und machten Tante Julies Erziehung alle Ehre. Sie waren so niedlich und höflich und wohlerzogen, daß mein Herz sich vor Stolz weitete.
Wir saßen beim Abendbrot, und Heidi blickte sich um.
„Wo sind die anderen?“ fragte sie.
„Welche anderen, Heidi?“
„Na, die anderen alle! Die anderen Kinder?“
„Ich hab leider keine weiteren“, lachte der Doktor. Heidi ließ die Augen prüfend über die vier Vorhandenen gleiten. „Ih, so’n paar bloß“, sagte sie. „Bei uns sind wir viel mehr.“
Mutti wies Heidi zurecht, aber es hielt nur für eine ganz kurze Zeit vor.
Wir aßen zum Abendbrot Wiener Würstchen und Kartoffelsalat. Ich hatte den Verdacht, und der war sicher berechtigt, daß Mutti und Heidi den ganzen Tag noch nichts Warmes in den Leib bekommen hatten.
„Warum essen wir abends Mittag? Und warum essen wir am Alltag Sonntagessen?“
Es war tatsächlich nicht ganz einfach, auf Heidis viele „W’rums“ zu antworten. Und es war eine Erleichterung, als wir die beiden Kleinen ins Bett gebracht hatten.
„Ich muß um Entschuldigung bitten wegen meiner schrecklichen Tochter“, sagte Mutti, als wir vor dem Kamin im Wohnzimmer zur Ruhe gekommen waren.
„Wegen welcher, Frau Hettring?“ sagte der Doktor schmunzelnd. „Wegen der großen oder wegen der kleinen?“ Mutti lachte.
„Für die Große weise ich jede Verantwortung zurück. Sie ist mündig und muß für sich selber geradestehen.“
„Mündig, ja!“ rief Sonja aus. „Sie ist so streng mit uns...“ Sie zwinkerte mir zu, als sie das sagte.
„Du siehst mir aber nicht so aus, als ob es dir schlecht bekäme“, sagte Mutti trocken. „Oder meinst du, ich soll Beate wieder mit mir nach Hause nehmen, nach Tjeldsund zurück?“
„Das sollen Sie mal wagen!“
„Das möchten wir uns sehr verbitten!“
„Wir sperren sie ein und verstecken den Schlüssel!“ Die Kinder riefen es alle gleichzeitig. Wieder klopfte mein Herz laut und froh.
Dann kam die kleine Gesellschaft zur Ruhe, Mutti fragte den Doktor allerlei wegen der Operation und der Klinik und der Besuchszeiten - und dann wünschten wir uns gute Nacht. Muttchen war müde von der Reise, und morgen mußte sie früh heraus. Sie und Heidi sollten zusammen mit Dr. Rywig in die Klinik fahren.
Mutti blieb in der Klinik, bis die kleine Operation gut überstanden war. Dann erhielt ich telefonischen Bescheid und fuhr hinein, um sie abzuholen. Die Herbstsonne glänzte über der Stadt, ich hatte mir freigenommen und ging mit meiner Mutter Einkäufe machen. Es war eine Riesenfreude, Muttchen ein wenig Geld zuzustecken, damit sie für alle zu Hause Geschenke kaufen konnte. Und sie hatte ihre Freude daran, in große, schöne Geschäfte und Kaufhäuser zu gehen. Sie genoß die breiten Straßen und großen Gebäude, gar nicht zu reden von der Konditorei, in die ich sie zu Schokolade und Torte einlud.
Ihre Augen wurden ganz jung, sie war fröhlich und guter Dinge. „Beate, du hast unglaubliches Glück gehabt“, sagte sie, als wir den ersten Hunger gestillt hatten und etwas zu uns gekommen waren. „Ich finde, du bist bei ganz reizenden Menschen gelandet, und man merkt’s, wieviel sie von dir halten, mein Kind!“
„Ja“, sagte ich nachdenklich und rührte in meiner Tasse. „Aber weißt du, Mutti, sie waren gar nicht so reizend, als ich kam. Ja,
höflich und freundlich, das wohl, aber...“
„Aber?“
Nun erzählte ich von Tante Julie, von dem muffigen Bernt und dem müden und nervösen Arzt, und wie ich unseren „Samstagschäker“ eingeführt und Hansemann die schlimmsten Unarten abgewöhnt hatte, wie
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