Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
Kindergarten.
„Ach, Beate! Wie herrlich, daß wir dich gefunden haben. Beate, du meinst das doch nicht im Ernst, was du an Papa geschrieben hast? Ach Beate, wir haben so geheult, wie du es dir gar nicht vorstellen kannst - du mußt wieder nach Hause kommen, Beate, und zwar wie du gehst und stehst - ach bitte, bitte.“
„Ach, meine lieben, lieben Kinder - wenn ihr wüßtet, wie gern.“
„Beate, bitte entschuldige mich für all die vielen Male, wo ich naseweis gewesen bin - ich will es auch nie wieder tun, Beate...“, das war Senta.
„Beate, ich gehe auch den ganzen Sommer mit wollenen Hosen, wenn du es willst.“ Sonja legte den Arm um meinen Hals.
Dann weinte ich wieder. Die Kinder schmiegten sich ganz fest an mich, und ich weinte, und alles war so furchtbar, so fürchterlich schwer. Meine Vernunft sagte mir, wenn ich jetzt nachgäbe, würden wir nach zwei Tagen wieder genausoweit sein. Es ging nun einmal nicht mit Tante Julie und mir zusammen. Und woher sollte ich wissen, wer Tante Julie in taktvoller Art und Weise klarmachen könnte, daß sie überflüssig sei? Sie sah nur, daß der Küchenschrank aufgeräumt und die Hemden gebügelt werden müßten, daß das Weihnachtsgebäck nicht so aussah, wie sie es gewohnt war, und daß die Socken nicht tadellos gestopft waren. Damit glaubte sie, sie sei unentbehrlich. Sie hatte keine Ahnung davon, daß es Dinge gab, die wertvoller waren als gelungenes Weihnachtsgebäck und vorzüglich gebügelte Hemden.
„Kinderchen“, hub ich von neuem an. „Wollen wir nicht ein bißchen Zeit verstreichen lassen? Vielleicht nehme ich zunächst mal eine Stellung an, und wenn Tante Julie euch dann verläßt, dann lasse ich alles stehen und liegen, und wenn ich beim König selber angestellt wäre...“
„Nein Beate, wir brauchen dich jetzt auf der Stelle.“
„Aber Kinder - das könnt ihr doch nicht entscheiden, das müßt ihr doch einsehen. Ihr dürft doch nicht vergessen, daß Papa da auch noch ein Wörtchen mitzureden hat!“
„Ganz recht!“ ertönte eine Stimme von der Tür, und wir wandten uns alle vier um.
Dort stand Dr. Rywig mit Hans Jörgen an der Hand.
„Beate!“ rief Hans Jörgen, riß sich von seinem Vater los und hopste auf meinen Schoß. „Warum bist du hier? Warum bist du nicht zu Hause? Beate, du mußt gleich wieder mit nach Hause kommen. Und ich will auch bloß so’n Lebertran nehmen wie Bernt und die Zwillinge, und ich gieße auch die ganze Vitasolflasche ins Klo.“ „Solche Heldentaten möchte ich nicht geloben“, sagte der Doktor. Er legte liebevoll seinen Arm um Hans Jörgens Schultern. „Bernt, höre zu. Hier draußen ist ein großer Vorplatz. Nimm die Zwillinge und Hans Jörgen mit und wartet alle da draußen, und achtet darauf, daß ihr leise seid wie die Mäuschen. Ich möchte gern ein Wort mit Beate allein reden.“
Die Kinder gingen gehorsam zur Tür. Hans Jörgen drehte sich um. „Dauert’s lange?“
Ich begegnete den Augen des Doktors. Und da mit einem Male, wie aus einer Erleuchtung, fielen alle meine Kümmernisse von mir ab. Plötzlich begriff ich - begriff alles bis auf den Grund. „Nein, Hans Jörgen“, sagte ich. „Es dauert nicht lange.“
Die Tür schloß sich leise hinter den vier Kindern.
„Beate“, sagte der Doktor und nahm meine Hand. Er stand einen Augenblick da, und als er wieder sprach, war ich ganz fassungslos, denn die Frage, die er an mich richtete, begriff ich überhaupt nicht.
„Beate, was hat es mit diesem verdammten Marlon Brando auf sich?“
„Mit Ma... Ma... Marlon...?“
„Jaja. Diesem bildschönen Kerl, der Blumen schickt und telefoniert und immer abwechselnd als Schulkameradin und Kränzchenschwester auftritt... ?“
„Nein, das ist ja wirklich allerhand!“ brauste ich auf. „Der bildschöne Kerl heißt Axel und interessiert mich nicht für’n Sechser. Es war reiner Zufall, daß ich ihn damals auf der Straße traf. Und er ist durchaus nicht als Freundin aufgetreten. Wenn ich gesagt habe, eine Freundin hätte angeläutet, dann war es Hannemarie, in deren Zimmer wir uns im Augenblick aufhalten.“
Da hellte sich Dr. Rywigs Miene auf, er sah gleich viel jünger aus. Jetzt nahm er auch meine andere Hand.
„Verzeihung, Beate. Beatchen - ich muß etwas sagen, was mir schon lange auf der Seele liegt - schon seit - schon seit damals, als du vor mir standest und mich anschriest, ich dürfte Bernt nicht schlagen. Ich habe es nur nicht gewagt, weil ich ein alter Knabe bin und du ein reizendes
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