Rywig 02 - Hab Mut, Katrin
und betrüblich - alles zugleich.
Heute vormittag waren Anja und Andreas in aller Stille auf dem Standesamt getraut worden, dann hatten sie bei Anjas Mutter gegessen - nur ein geruhsames kleines Familienessen. Und Anja hatte in einem graublauen Kostüm und mit einem großen Strauß hellrosa Rosen reizend ausgesehen.
Katrin war einige Tage vor der Hochzeit zu Andreas gegangen.
„Andreas, du - du kannst gern zum Hochzeitstag von meinen Rosen welche für Anja bekommen“, hatte sie gesagt, und ihre Stimme war ein wenig rauh und ein wenig zittrig gewesen.
Sie hatte selbst gestern die Rosen abgeschnitten, sie hatte selbst den Strauß gebunden. Und Anja hatte sie warm und herzlich umarmt und ihr ins Ohr geflüstert: „Das vergesse ich dir nie, Katrin! Ich glaube, du ahnst gar nicht, wie viel es mir bedeutet, daß du dieses Opfer gebracht hast.“
„Es war kein Opfer“, sagte Katrin, ein wenig unbeholfen und verlegen. „Ich mußte nur denken, wenn - wenn meine Mutter am Leben gewesen wäre, dann hätte sie sicher -“, Katrin stockte, sie wußte nicht weiter.
Sie hatte nun einmal die Worte nicht in ihrer Gewalt.
„Aber jetzt soll auch keine einzige mehr abgeschnitten werden, bis - bis du ein Brautbukett brauchst!“ lächelte Anja.
Paul hatte Katrin dann an den Zug gebracht. Ihr Gepäck war schon früh am Morgen aufgegeben worden. Er hatte ihr Schokolade
gekauft und einige Illustrierte und war lieb und fürsorglich gewesen.
Paul war vor drei Wochen aus Haus Eschenheim fortgezogen. Er hatte eine kleine Junggesellenwohnung in der Stadt bekommen. Und nun würden Andreas und Anja allein im Haus Eschenheim wohnen -
In den letzten Tagen vor der Hochzeit hatte Katrin alle ihre Sachen gewaschen und gebügelt und viel Mühe auf das Packen verwandt. Die junge Schwägerin hatte ihr die Augen geöffnet für Sorgfalt und Sauberkeit - Begriffe, die ihr bislang ziemlich unbekannt gewesen waren.
Sie drehte sich im Bett um. Sie war so grenzenlos müde. Jedesmal aber, wenn der Schlaf sich gerade einstellen wollte, kam die Aufregung wieder: was ihrer wohl in Oslo harrte - wie Senta wohl sein mochte - und Bernt, der so unheimlich klug sein sollte! Was würden sie zu so einer Unschuld vom Lande sagen, wie sie eine war?
Der Tag begann schon zu grauen, als Katrin in einen unruhigen Schlummer fiel. -
Die kecke Katrin fühlte sich klein und verlassen und ein bißchen ängstlich, als sie aus dem Zuge stieg - sie kam sich zerzaust vor, übernächtig und ratlos inmitten des enormen Verkehrs.
Sie starrte sich die Augen nach Frau Rywig aus - vielleicht stand sie weiter vorn - mit dem Koffer in der Hand ging Katrin langsam zum Ausgang... keine Frau Rywig war zu sehen.
Aber da gewahrte sie etwas, was sie kannte - ein Kleid, das sie schon einmal gesehen hatte - das Kleid, das Frau Rywig für Senta gekauft hatte. Und darüber ein waches, helles Gesicht unter kurzen blonden Locken - ja, es war das Gesicht von der Aufnahme.
Katrin steuerte auf das junge Mädchen los, ihre Augen trafen sich und lächelten. „Guten Tag, du bist Katrin, nicht wahr?“ „Ja -.“
„Und ich bin Senta. Herzlich willkommen. Ich soll von Beatemutti grüßen. Sie war tief unglücklich, weil sie nicht selber kommen konnte; aber Stephan ist vorhin die Treppe hinuntergepurzelt und hat gebrüllt wie am Spieß. Da mußte Mutti sich um ihn kümmern, und du mußt nun mit mir vorliebnehmen. Gib mir mal deinen Koffer, ich helfe dir tragen. Du, es ist einfach großartig, daß du kommst. Du ahnst gar nicht, wie ich mich gefreut habe.“
Da lächelte Katrin. Eine gute, helle Freude durchflutete sie.
„Ich habe mich auch riesig gefreut.“
„Bestimmt?“
„Ja, schon von dem Tag an, als ich den Brief von deiner - von Frau Rywig bekam.“
„Du kannst ruhig ,deine Mutter’ sagen - wenn ich von ihr spreche, sage ich auch ,meine Mutter’, nur wenn ich mit ihr spreche, sage ich Beatemutti. Sag mal, hast du noch mehr Gepäck? Hast du deinen Koffer aufgegeben? Den holt Papa dir nach seiner Sprechstunde. Er konnte jetzt nicht kommen, er schneidet sicher gerade einen armen Menschen auf. Wir müssen die Vorortbahn nehmen, wir wohnen nämlich außerhalb der Stadt. Es ist ja ein bißchen schäbig, daß du nicht im Wagen abgeholt wirst, aber Papa ist bei uns der einzige, der fährt, mußt du wissen.“
„Fährt dein Bruder auch nicht?“
„Der hat überhaupt keine Zeit vor lauter Studieren. Außerdem ist er jetzt in Kopenhagen.“
„In Kopenhagen?“
„Ja, ja. Wir
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