Rywig 02 - Hab Mut, Katrin
immer zu deiner Verfügung, wenn du sie brauchst. Und wenn das stimmt, was Katrin sagt, daß es eine Hilfe nicht nur für deine Hände ist, sondern für deinen überanstrengten Kopf - doch, Gerhard, der ist oft überanstrengt - , dann ändern wir den Plan, dann wechseln Senta und ich uns in der Morgenarbeit ab.“
„Ja, wenn das zu machen ginge, dann - “
„Aber selbstredend“, sagte Beate mit Überzeugung, machte einen dicken Strich durch den Morgenplan und begann von neuem mit nur zwei Rubriken: Senta und Beate.
Wieder schoß Katrin ein Gedanke durch den Sinn: Ob Andreas und Anja auch dieses gute Lächeln hatten, ob ihre Augen auch einen so warmen Blick hatten, wenn sie einander ansahen? Waren sie ebenfalls dabei, ein Heim in Harmonie und frohem Vertrauen aufzubauen?
Und dann fühlte sie eine brennende Scham. Als Andreas sich verlobte, hatte sie nur harte Worte, nur Bitterkeit für ihn gehabt. Kein freundliches Wort für Anja, kein Lächeln. Plötzlich wandelte Katrin die Lust an, dem Bruder zu schreiben. Und Anja. Einen netten und heiteren Brief zu schreiben, Anja zu sagen, wie glücklich sie sei, weil sie deren einzigartige Kusine hatte kennenlernen dürfen. An diesem Abend nahm Katrin anstelle eines Arithmetikbuches Briefblock und Kugelschreiber mit ins Bett.
Das „friedliche “ Wochenende
Sentas Idee bewährte sich glänzend. Der Stundenplan wurde eines Abends an die Küchentür geheftet. Alle machten einen Sport daraus, ihn aufs Tüpfelchen einzuhalten. Es zeigte sich, daß auf diese Weise alle drei tatsächlich viel mehr freie Zeit hatten.
„Ich weiß, woher das kommt“, sagte Katrin. „Früher glaubten wir immer, wir müßten einander helfen. Wenn ich abwusch, meintest du, du müßtest abtrocknen. Wischte Beatemutti im Wohnzimmer Staub, meinten wir, wir müßten das Eßzimmer übernehmen - so purzelte den ganzen Tag immer einer über den anderen, aber jetzt - ja, jetzt tun wir das, was unser Amt ist, und dann sind wir frei.“
„Ja“, sagte Senta und blickte Katrin schalkhaft von der Seite an. „Frei, um sich über das Mittelschulpensum herzumachen.“
„Senta, du Strick - hast du dir deshalb den Stundenplan ausgedacht?“
„Weshalb denn sonst?“
„Oh, Senta, du bist - du bist also einfach der beste Kamerad, den es je gegeben hat.“
Katrin wußte selber nicht, was ihr einfiel. Seit die Mutter tot war, hatte sie niemals eine wirkliche Liebkosung empfangen oder jemanden zuteil werden lassen. Aber jetzt umschlang sie plötzlich Senta mit beiden Armen. „Ihr seid so gut zu mir, daß - daß -.“. Sie stockte und stand da und plinkerte ein wenig verlegen mit den Augen.
„Na du“, sagte Senta, nun auch verlegen.
„Ach, was bin ich für ein Schussel“, ertönte es plötzlich von der Tür her und die Verlegenheit war wie weggeblasen. „Ein preisgekrönter Riesenschussel.“ Es war Beate.
„Wunderbar, daß du Selbsterkenntnis besitzt, Beatemutti. Was hast du denn jetzt angestellt?“
„Den Schlüssel zum Schreibtisch verloren.“
„Hier im Hause?“
„Das kann man wohl sagen. Ich habe ihn nämlich in den abgeschlossenen Schrank hineinfallen lassen.“
„Hm, hm. Sag mal, Beatemutti, hast du dir auf nüchternen Magen einen Schnaps zu Gemüte geführt oder bist du noch nicht ganz wach?“
„ Ich bin hellwach, so wach, daß ich etwas in mein
Haushaltungsbuch eintragen wollte - und da passierte es. Mit anderen Worten, wir müssen einen Schlosser holen.“
„Wartet mal eben“, sagte Katrin. „Ich begreife nichts, aber zeig mir mal bitte das Unglücksding.“
Sie ging Beate ins Wohnzimmer nach, wo der Sekretär stand. „Siehst du, so“, sagte Beate. „Ich hatte den Schrank unter der Schreibtischklappe abgeschlossen und den Schlüssel hier hinter die Klappe gelegt.“
„Ja, das verstehe ich“, sagte Katrin.
„Nun wollte ich die Platte herunterklappen, um zu schreiben -.“ „Aha, da haben wir’s. Wenn die Klappe schräg steht, bildet sich eine kleine Ritze, genauso, wie wenn man eine Tür öffnet - und dann ist der Schlüssel durch diese Ritze geplumpst.“
„Ganz recht.“
„Aber halt mal - wenn ein Schlüssel da durchfallen kann, dann muß man ja auch ohne weiteres einen - habt ihr einen Magneten im Hause?“
„Hans Jörgen hat sicher einen.“ Der Magnet wurde gefunden, Katrin machte ihn an einem Bindfaden fest und ließ ihn durch die Ritze hinab. Sie ließ den Bindfaden hin und her pendeln, aber der Schlüssel ließ sich nicht herbeilocken.
„Der
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