Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
barmherzig, er tötet mit einem Prankenschlag.“
„Aber all das Blut. und der aufgerissene Bauch...!“
„Ja, wir lassen gewöhnlich die gelernten Schlachter diese Arbeit für uns besorgen“, sagte Heiko. „Und da die Löwen weder Elektroherde noch Teller oder Bestecke haben, müssen sie ihr Fleisch in natura essen.“
„Herr Brunner hat recht, Frau Johannsen“, sagte Frau Dieters sanft. „Die Szene, die wir grade gesehen haben, das war ein Stück Natur. Es war etwas, was der liebe Gott so geschaffen und so gewollt hat. Was diese Antilope in ihrem kurzen Todesaugenblick gelitten hat, ist eine winzige Kleinigkeit gegen das, was Tausende von Tieren in den teuflischen Drahtschlingen der Wilddiebe leiden.“
„Aber. kann man denn die Wilddiebe nicht erwischen?“ fragte Frau Tiger. Nun schaltete sich plötzlich ihr schweigsamer Mann ein. „Man hat viele erwischt. Setz dich aber hin mit der Afrikakarte und sieh dir die Abstände an! Man braucht Tausende von Wildhütern, man braucht Waffen, man braucht Geländewagen und Kleinflugzeuge. Kurz gesagt, man braucht Geld. Damit ist die größte Schwierigkeit überwunden. Dann kann man den Lohn für die vielen Wildhüter zahlen, man kann die Autos, die Kleinflugzeuge und die Fliegerausbildung der Leute zahlen.“ „Aber. da gehört doch furchtbar viel Geld dazu.“ „Klar. Wenn jeder erwachsene Mensch in der sogenannten zivilisierten Welt ein einziges Mal eine Mark gäbe, dann glaube ich, wäre die afrikanische Tierwelt gesichert.“
Die Worte kamen so präzise, wirkten durchdacht. Merkwürdiger Mann. Was wohnte wohl hinter seiner Stirn, hinter dem resigniertunbeweglichen Gesicht? Grade weil er so selten sprach, machten seine Worte Eindruck auf uns.
Nachher konnten wir eine große Giraffenherde aus nächster Nähe bewundern. Vielleicht war kein Tier so - beinahe hätte ich „dekorativ“ gesagt - wie die Giraffe. Eins versprach ich mir selbst im stillen: Wenn ich wieder nach Afrika käme, würde ich in eine Gegend fahren, wo es auch die Netzgiraffen gab - und die Grevyzebras - und die unbeschreiblich schönen Gerenuks, die Giraffengazellen, die ich nur von Bildern und Filmen kannte.
Wenn alles nach Heikos und meinen Plänen ginge, würden wir sie einmal zu sehen bekommen. Und noch viel, viel mehr dazu.
Als wir an diesem Abend nach dem Essen wieder zusammensaßen, rückte Frau Tiger - ach nein, ich will sie nicht mehr Frau Tiger nennen! Sie war in all ihrer Naivität und mit ihren komischen Bemerkungen doch viel netter geworden -, also, rückte Frau Johannsen dichter an den Kamin.
„Es ist kühl heut abend“, meinte sie.
„Aber dann holen Sie doch Ihre schöne Stola!“ sagte Frau Dieters.
Frau Johannsen richtete einen beinahe schuldbewußten Blick auf
sie:
„Wissen Sie, nach allem, was wir gesehen und gesprochen haben, und nach dem, was Sie und Herr Brunner erzählt haben, bringe ich es nicht fertig, mich in Felle von unschuldigen Tieren zu hüllen.“
Frau Dieters lächelte:
„Ihre Nerzstola können Sie getrost tragen, Frau Johannsen! Die Nerze werden ja gezüchtet, zu Tausenden und abermals Tausenden, für die Pelzindustrie! Es besteht keine Gefahr, daß sie ausgerottet werden. Überhaupt gibt es doch so viel schönes Pelzwerk, das wir tragen können. Wir sollen uns nur davon überzeugen, daß es von Zuchttieren kommt. Dann dürfen wir auch voraussetzen, daß die Tiere in einer humanen Weise getötet worden sind!“
„Schließlich essen wir ja auch Fleisch und tragen lederne Schuhe“, sagte Herr Johannsen. „Das können wir seelenruhig und mit dem besten Gewissen tun, wenn wir bloß nicht dadurch die Tiere gefährden, die geschützt werden müssen, um nicht auszusterben!“
„Sie haben bestimmt sehr viel über dieses Thema gelesen“, meinte Herr Dieters.
„O ja. Vier Monate lang. Seit wir diese Reise gewannen.“
„Gew... oh!“ rief ich. „Nun Weiß ich es! Sie gewannen die allererste gezogene Ostafrikareise in der Fernsehlotterie! Ich weiß, daß der Gewinner Heinz mit Vornamen hieß.“
Zum ersten Mal sah ich Herrn Johannsen lächeln.
„Ja, das stimmt. Dann dachte ich: Besser sich etwas vorzubereiten, und dann ging das Lesen los. Es hat mich sehr gepackt.“
Seine Frau beantwortete eine Frage, die nicht gestellt worden war:
„Ja, mein Mann liest so sehr gern. Ich komme selten dazu. Ich habe ja das Haus, und dann mußte ich mich um meine ganze Afrikagarderobe kümmern.“
Als Heiko und ich an diesem Abend unsere paar
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