Rywig 03 - Meine Träume ziehn nach Süden
Muttertier stand ein paar Meter weg, die großen, schönen Augen auf uns gerichtet.
„Bitte, fahren Sie weiter“, bat Frau Dieters. „Dies wollen wir nicht stören.“
Wir ließen die Gazellenherde hinter uns, fuhren über ein Stück freies Gelände - und der Fahrer hielt, machte eine stumme Handbewegung:
Keine zwanzig Meter von uns stand ein Nashornpaar. Seelenruhig, fast freundlich! Sie sahen uns an, ohne eine Bewegung zu machen. Ein weißer Vogel, ein Kuhreiher, hopste auf ihren breiten Rücken herum und holte sich Insekten.
Wir konnten in aller Ruhe die Tiere beobachten, die gewaltigen Körper, die säulenähnlichen Beine, die enormen Köpfe mit den komischen kleinen Ohren - und mit den Hörnern auf der Nase!
Zugegeben: Nach unseren Begriffen waren sie nicht schön. Sind wir aber überhaupt fähig, das zu beurteilen? Warum sollte es häßlich sein, ein Horn auf der Nase zu tragen? Wir finden eine Giraffe schön mit ihrem drei bis vier Meter langen Hals. So ein Hals ist für uns doch genauso ungewöhnlich wie Hörner auf der Nase! Oder wie ein Rüssel und vier Meter lange Stoßzähne, und dabei finden wir auch den Elefanten schön.
Was haben wir eigentlich für komische Vorurteile!
Die Tiere standen, als warteten sie aufs Fotografiertwerden. „Frau Nashorn sieht aus, als ob sie es mag!“ flüsterte Senta. „Es fehlt nur noch, daß sie sich jetzt zur Seite dreht, um uns ihr klassisches Profil zu zeigen!“
Und prompt setzte sich das kleinere Nashorn in langsame Bewegung, machte ein Vierteldrehung und blieb stehen - genau im Profil! Es war schwer, nicht laut zu lachen!
Nun wurde es dunkler. Wenn es bloß nicht anfing zu regnen! Wir waren ja so glücklich, daß der Regen vom Tag zuvor uns diese Kraterfahrt nicht unmöglich gemacht hatte - oh, nur noch ein paar Stunden, nur noch eine einzige Stunde! Morgen durfte es Bindfäden regnen! Das Schlimmste, was uns dann passieren konnte, war, daß wir nicht nach Nairobi durchkamen - und wenn schon? Mir sollte es recht sein, wenn wir wegen „höherer Gewalt“ länger in Afrika bleiben müßten.
Mein Stoßgebet wurde erhört. Genau eine Stunde erlebten wir noch, bevor der Regen kam. Und diese Stunde bildete den überwältigenden Abschluß unserer Safari.
Der Fahrer drehte sich um, legte den Finger auf den Mund:
„Haweri! Please not talk!“
(Heiko meinte zu wissen, daß „haweri“ „Vorsicht“ bedeutete.)
„Huko! Elephants!“ („Huko“, sagte Heiko, „bedeutet ,dort’.“ Wie schön würde es sein, zu rufen: „Huko Heiko!“ wenn ich erst mal Suaheli gelernt hätte!)
Ein schwarzer Zeigefinger war nach vorn gerichtet. Ja... da im hohen Gras bewegte sich etwas. etwas Riesiges.
Wir wagten kaum zu atmen. Langsam und vorsichtig näherte sich der Wagen dem großen Grauen da vorn.
Dann hatten wir das Tier direkt vor uns. Einen gewaltigen Elefanten, größer als ich jemals gedacht, geschweige denn gesehen hatte. Seine Stoßzähne waren wie zwei enorme, gelblichweiße Krummsäbel, seine Ohren groß wie. ja, was soll ich sagen? Wie eine doppelte Bettdecke?
Nie habe ich mich so lächerlich klein gefühlt.
Er stand regungslos da, weder freundlich noch unfreundlich. Er war eben da, er war zu Hause, er war Herr in seinem Revier und duldete uns, weil wir so lächerlich klein und unbedeutend waren.
Und dann - als ich endlich den Blick von ihm losreißen konnte, sah ich, worauf er aufpaßte, wen er zu betreuen hatte: Eine kurze Strecke hinter ihm zählte ich neun seiner Artgenossen, zum Teil viel kleinere. Sie wanderten bedächtig durch das hohe Gras, rissen gewaltige Büschel ab und stopften sie genießerisch in den Mund.
Aber der große, herrliche Leitelefant stand da, bereit, Familie und Heim zu verteidigen, wenn es nötig sein sollte.
Es wurde nicht nötig. Das sah er zuletzt auch ein. Was konnten ihm diese armseligen kleinen Wesen in den komischen rollenden Kästchen schon antun?
Er verlor jegliches Interesse an uns, wendete langsam, stand einen Augenblick im Profil - die Kameras liefen heiß! -, und dann zeigte er uns sein mächtiges Hinterteil, wanderte seelenruhig davon, um sich der Sippe wieder anzuschließen.
Der wortkarge Fahrer lächelte breit und zufrieden. Er startete den Motor, und nach einer Stunde hielt er vor dem langen, niedrigen Gästehaus der Lodge.
In diesem Augenblick fielen die ersten Regentropfen.
Ein Gruß aus der nördlichen Halbkugel
Ich hatte meinen alten Platz im Auto wieder, zwischen Senta und Heiko. Zum letzten Mal
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