Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
ein andermal mehr, Heidi. Jetzt ist es spät, und ich bin hundemüde. Ich habe den ganzen Abend wie ein Kuli geschuftet.“
„Nanu? Geschuftet - heut, an einem Sonntag? Was hast du denn gemacht?“
„Hauptsächlich abgewaschen, nach einem Festmahl für zwölf Personen!“
„Ach, jetzt begreife ich. dann hast du die schönen, übriggebliebenen Schnitten mitbekommen!“
„Erraten! Ich habe auch was anderes, das steht im Kühlschrank. Jetzt gehen wir aber zu Bett, findest du nicht? Ich muß morgen beizeiten aufstehen.“
„Und ich erst recht!“ rief ich. „Mensch, wie freue ich mich! Morgen werde ich wie ein Kuli schuften, damit wir beide einen schönen Weihnachtsabend kriegen! Soll ich dich morgen früh wecken, Xenia, und wann?“
„Ja, wenn du so lieb bist. Ist dir sieben Uhr zu früh?“
„I wo, da bin ich schon lange wach! Also, Punkt sieben!“
„Dann gute Nacht, Heidi. Und. danke!“
„Danke ist gut! Ich habe zu danken! Schlaf gut, Xenia!“
„Du auch.“ Sie stand schon an der Tür, mit der Hand auf der Klinke.
„Ja, und Heidi.. wenn du mich weckst, dann brauchst du nicht anzuklopfen!“
Ich war hellwach um sechs, schlich lautlos aus dem Zimmer und zog mich im Waschraum an. Dann auf Zehenspitzen die Treppe runter. Ich setzte Kaffeewasser auf und strich einen Haufen Brote mit Wurst und Käse. Da stand auch ein Glas Marmelade, das hatte Xenia wohl mitgebracht. Also machte ich auch Marmeladenbrote und krönte das alles mit einer Scheibe von Frau Waldenburgs herrlichem Stollen.
Punkt sieben ging ich rauf zu Xenia, mit dem Frühstückstablett in den Händen. „Xenia! Sieben Uhr! Guten Morgen!“ Sie blinzelte gegen das Licht. Dann lächelte sie mich an. „Guten Morgen, Heidi. Aber du lieber Himmel, was hast du denn da?“
„Frühstück ans Bett für meine liebe Freundin! Setz dich ein bißchen hoch, so, ja, das ist fein, bitte schön!“
Ich stellte ihr das Tablett aufs Bett, und ihre Augen wurden kugelrund. „Heidi, du bist ja. aber soll ich denn allein frühstücken?“
„Nicht, wenn du meine Gesellschaft haben möchtest!“
„Ja, darum möchte ich sehr bitten!“
Ich holte schnell meine eigene Tasse und meine Brote und setzte mich neben das Bett.
„Weißt du, Heidi, dies ist das erstemal in meinem Leben, daß ich Frühstück ans Bett kriege!“
„Dann ist es wirklich höchste Zeit! Aber iß nun endlich, du sitzt ja da und guckst nur!“
„Ja, ist das ein Wunder? Ich muß ja dieses erste Frühstückstablett meines Lebens richtig anschauen! Aber ich esse schon, denn ich muß nachher aufstehen, ich soll um neun zu meinem Job!“
„Und ich um zwölf zu meinem! Was hast du für einen Job?“
„Ich mache abends sauber in einem Geschäft. Lebensmittel, deshalb die Marmelade, die du gefunden hast, wie ich sehe. Und gestern hatte der Chef Geburtstag, fünfzig Jahre, mit einer großen Feier. Da half ich also in der Privatwohnung, das letzte war der Riesenaufwasch. Du mußt in den Kühlschrank genauer gucken, da sind auch ein paar Scheiben Wildschweinbraten und im Tiefkühlfach etwas Karameleis in einer Pappschale. Wir kriegen ein ganz feines Weihnachtsessen! - Was für einen Job hast du eigentlich?“
„Auch saubermachen! In einer Arztpraxis. Dreimal in der Woche, nachmittags. Heut ist nur Vormittagssprechstunde, da kann ich um elf anfangen und bin gegen dreizehn Uhr fertig.“
„Weiß Frau von Waldenburg, daß du den Job hast?“
„Nein, ich habe gelogen. Mittwoch sagte ich ihr, daß ich einer
Kommilitonin Unterricht in Norwegisch gebe - weil ich nicht zu Mittag kommen konnte. Montags und freitags ist es ganz einfach, dann fahre ich eben nachmittags in die Stadt. Nein, weißt du, es würde ihr leid tun, daß ich arbeiten muß, wo sie doch alles tut, damit wir sorglos studieren können!“ Xenia nickte.
„Genauso ist es. Deswegen habe ich auch nichts erzählt. Und ich mußte etwas Geld verdienen; ich muß es so oft wie nur möglich, damit ich überhaupt weiterstudieren kann.“
„Und ich mußte es jetzt, damit ich für diese zehn Tage etwas zu essen kaufen konnte.“
„Klar. Wie spät ist es? Halb acht? Ich muß in fünf Minuten aufstehen!“
„Du! Jetzt begreife ich etwas! Du hast doch Frau von Waldenburg gefragt, was sie über Weihnachten mit ihren Fensterblumen macht! Du wolltest bestimmt rauskriegen, ob irgend jemand herkommen würde!“
„Stimmt. Gerade das wollte ich.“
„Aber, Xenia! Wenn wir nun nicht den Schlüssel zur Hintertür bekommen hätten,
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