Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
aufmachen, hatte ich versprochen. Aber heute war ja der vierundzwanzigste.
Also machte ich es auf. Und dann mußte ich mich ganz einfach hinsetzen! Ich traute meinen Augen nicht! Im Paket war ein ganz kleines, reizendes Taschenradio, ein kleines Batteriegerät für Mittelund Langwelle. Nie in meinem Leben hatte ich ein so wertvolles Weihnachtsgeschenk bekommen!
Da war der Brief. Ich machte ihn mit zitternden Fingern auf:
„Meine liebe kleine Heidi!
Am Heiligen Abend werden all meine Gedanken bei Dir sein, und nicht nur dann! Wie schön wäre es gewesen, wenn Du auch nach Pontresina führest und wenn wir zusammen herrliche Skitouren machen könnten! Als Norwegerin bist Du bestimmt ganz groß auf Skiern. Aber ich weiß ja, daß Du auch daheim bei Deinen Eltern sehr schöne Weihnachtstage verbringen wirst. Ich freue mich auf das gegenseitige Erzählen!
Mein kleines Geschenk soll Dir in den Arbeitspausen ein bißchen Unterhaltung verschaffen. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, hast Du kein eigenes Radio. Du kannst es ja auch auf der Rückreise, auf der weiten Autofahrt benutzen, falls Dein Onkel kein Autoradio hat.
Liebes Heidilein, ob Du wohl ahnst, wie ich mich aufs Wiedersehen freue? Spätestens am frühen Morgen am 4. Januar, nicht wahr?
Eine ganz herzliche Weihnachtsumarmung sendet Dir Dein Bernhard“
Ich blieb einen Augenblick sitzen, mußte den Brief noch einmal lesen. Das mit Weihnachten zu Hause, mit der Autofahrt und dem Onkel piekste richtig in meinem Gewissen. Was würde es für eine Erleichterung werden, Bernhard alles zu beichten und die ganzen Lügen zurückzunehmen! Er würde ein bißchen schimpfen, aber er würde mich verstehen.
Lieber, guter Bernhard!
Dann stand ich auf und ging in die Küche. Was sage ich, ging? Nein, ich schwebte. Schwebte auf rosa Glückswolken!
Da hörte ich Xenias Schlüssel in der Hintertür.
Unser Weihnachtsabend konnte anfangen!
Den Weihnachtsabend vergesse ich nie
„Xenia, wir sind ja reich!“ rief ich. Sie hatte ihre ganzen Einkäufe auf den Küchentisch ausgebreitet. Wir hatten reichlich für alle Feiertage. „Menschenskind, du hast dich ruiniert!“
„Durchaus nicht! Als ich meine Sachen beisammen hatte - lauter Sonderangebote und so was - und es bezahlen wollte, sagte die Chefin: ,Ach, das bißchen da, das schenke ich Ihnen zu Weihnachten’, und dann legte sie sogar diese Tüte Nüsse und die Feigen dazu!“
„Wie machen wir es nun, Xenia? Essen wir gleich warm, oder machen wir es erst nach der Bescherung und so?“
„Wie macht ihr es bei euch zu Hause?“
„Oh, wir begnügen uns mit Broten und Kaffee, dann haben wir eine gemütliche Teestunde mit Kuchen gegen fünf, dann zünden wir die Kerzen an und kriegen unsere Geschenke, und dann erst geht es an das große warme Essen.“
„Machen wir es doch genauso!“ schlug Xenia vor. Das taten wir dann.
Nach dem schnellen Butterbrotmittag zog Xenia sich eine Weile in ihr Zimmer zurück. Als ich sie rief, kam sie zum Vorschein in ihrem hübschen grünen Pulli, mit frischgekämmten Haaren und einem Päckchen in der Hand.
„Mensch, wie bist du hübsch!“ platzte es aus mir heraus.
„Ach, du Quatschkopf“, sagte Xenia mit einem kleinen Lächeln. „Übrigens, danke, gleichfalls. Das Kleid steht dir blendend!“
„Erbgut“, gestand ich. „Von meiner gesegneten Schwester Beate!“ Xenia blieb in meinem Zimmer stehen. Sie guckte sich um, während ich die Kerzen am Baum anzündete.
„Wie hast du es schön gemacht, Heidi.“ Sie sprach ganz leise. „Findest du? Ja, ich habe mir jedenfalls Mühe gegeben. Komm, setz dich. Der Tee ist frisch aufgebrüht, und es gibt norwegische Kuchen und deutschen Stollen!“
Ich machte das Radio an. Es war ein Kinderchor, der Weihnachtslieder aus verschiedenen Ländern sang. Wir schwiegen, horchten, lächelten einander an. Als das Chorkonzert zu Ende war, räumte ich den Tisch. Wir trugen das Geschirr in die Küche und gingen zurück zu unserem Bäumchen.
„So, Xenia, jetzt gibt es Geschenke! Bitte, das da links ist für
dich!“ Wie hat sie sich über die Norweger-Fäustlinge gefreut! Sie zog sie an, bewegte die Hände, sah sich das Muster ganz verliebt an, zog sie wieder aus, streichelte sie.
„Heidi, ich weiß gar nicht, wie ich mich bedanken soll. ich freue mich ja so schrecklich. und sie sind so schön warm!“
Ich machte meine eigenen kleinen Päckchen auf, zum Glück waren es nur winzige Kleinigkeiten, aber so liebevoll zusammengestellt und
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