Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
was hättest du dann getan? Wo wärst du über Weihnachten geblieben?“
„Wahrscheinlich im Schuppen im Garten.“
„Was? Im Schuppen? Bei der Kälte? Und wo hättest du geschlafen?“
„Na, ich hätte wohl einen Schlafsack organisiert. Sehr gemütlich wäre es natürlich nicht gewesen, aber. Heidi, Mensch, was quasseln wir alles, ich muß den Bus um halb neun haben!“
„Ich komme mit!“ rief ich.
Wieder saßen wir nebeneinander im Bus, genau wie vor vierundzwanzig Stunden, und doch ganz anders! Heute waren wir beide guter Laune, wir plauderten und wir lachten ein bißchen, kurz, wir verstanden uns und waren Freunde, und ich war von einer glücklichen Dankbarkeit erfüllt.
„Warum mußt du eigentlich so früh los?“ fragte ich. „Du kannst doch nicht während der Geschäftszeit saubermachen!“
„Nein, das kann ich erst ab dreizehn Uhr. Aber heute habe ich versprochen, beim Bedienen zu helfen, die Verkäuferin ist zu Weihnachten nach Hause gefahren.“ Xenia guckte mich verschmitzt an. „Sie ist also wirklich gefahren, verstehst du!“
„Dann müßte ich ja eigentlich bei dir Einkäufe machen!“
„Nein, aber du kannst es mir überlassen, ich suche mir ein paar
Sonderangebote und so was aus. Was brauchen wir?“
„Eine Dose Würstchen und etwas Kaffee und ein Brot.“ Ich zählte noch ein paar Sachen auf. „Und etwas zum Mittagessen für übermorgen. Falls du eine billige Dose erspähst!“
„Wird gemacht. Kartoffeln hast du vergessen!“
„Ja, richtig. Aber es wird viel zu schleppen für dich.“
„Daß ich nicht lache! Hier muß ich aussteigen, ich mache so schnell wie ich kann, aber vor vier Uhr schaffe ich es wohl nicht.“ „Fein, dann erwarte ich dich mit irgendwas Eßbarem. Mach’s gut, Xenia!“
Oh, was hatte ich nun alles zu tun!
In der Nähe eines großen Warenhauses stieg ich aus. Sparen hin, sparen her, heut sollte gefeiert werden, und zehn Mark wollte ich springen lassen.
Es ist unglaublich, was man alles für zehn Mark kriegen kann, wenn man rumsucht und sich alles genau überlegt. Ich bekam ein Papiertischtuch und Servietten mit Weihnachtsmännern und Glocken drauf. Ich bekam rotes Kreppapier, ein paar Kerzen und Kerzenhalter, etwas Lametta und sogar eine Reihe bunter Glaskugeln. Die gab man mir sogar umsonst, weil ein paar davon kaputt waren!
Auf dem Markt waren noch Weihnachtsbäume. Ich fand einen Minibaum in einem Blumentopf. Aber dann hatte ich auch alles in allem zwölf Mark fünfundzwanzig verbraucht!
Glück muß der Mensch haben! An diesem Tag hatte ich lauter Glück!
Als ich die Praxis gefegt, aufgewischt und gebohnert hatte -letzteres war ein Kinderspiel mit der elektrischen Bohnermaschine -, steckte Frau Doktor mir ein Päckchen in die Hand. Kurz danach kam die Helferin. „Ach, Fräulein Hettring, mögen Sie Marzipan?“
„Und ob!“
„Bitte, dann nehmen Sie dies, ich habe es von einer Patientin bekommen. Und ganz ehrlich, ich kann Marzipan nicht ausstehen! Nein, Sie brauchen sich gar nicht zu bedanken! Nun, werden Sie heut schön feiern? Mit Verwandten?“
„Nein, mit einer reizenden Freundin! Ich freue mich wie ein Kind auf heute abend!“
Wie habe ich mich gesputet!
Nach Hause in einem überfüllten Bus, dann alles rauf in mein Zimmer. Nie habe ich so schnell gearbeitet! Der kleine Baum wurde auf einer Unterlage von rotem Kreppapier auf meinen Schreibtisch gestellt, Lichter angeklemmt und Lametta und bunte Kugeln aufgehängt. Dann ging es ans Paket von zu Hause. Ich wußte, daß da ein ganz weiches Päckchen war, bestimmt was Gestricktes. Das sollte Xenia haben, was es auch sei.
Es waren ein Paar schöne Norweger-Fäustlinge, von Beate gestrickt. Es könnte gar nicht besser passen! Sie wurden wieder eingepackt, der Anhängezettel ausgewechselt.
Aber was sollte ich sonst für Xenia hinlegen? Selbst hatte ich so viele Kleinigkeiten von den Kindern. was war das nur? - „Von Annette“ - ich machte das Päckchen auf. Es war eine Schachtel mit drei Stück Radiergummi, als Tiere geformt. Großartig! Also noch ein Anhängezettel: „Für meine liebe Tante Xenia von Bicky.“
Als ich dann auch das Marzipan eingepackt hatte - „Für Xenia vom Weihnachtsmann“, konnte ich in puncto Geschenke nichts mehr tun.
Dann legte ich meine eigenen Sachen auf das andere Ende des Tisches. Ich blieb mit Bernhards Paket in der Hand stehen. Wenn nun ein Brief drin wäre? Den möchte ich allein lesen - jetzt, bevor Xenia kam.
Erst am vierundzwanzigsten
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