Rywig 10 - Machst Du mit Senta
Hand. Ich beobachtete ihr Gesicht. Einen Augenblick flog ein Ausdruck von Schmerz und Hilflosigkeit über ihre Züge. Dann brachte sie ein Lächeln zustande und bedankte sich bei Heiko.
Mit meinen letzten Kräften raffte ich mich zusammen und beobachtete, wie das Zimmerverteilen vor sich ging. Die Schlüssel wurden dem Reiseleiter ausgehändigt, die Gruppenteilnehmer mußten sich der Reihe nach eintragen und dann wurden die Zimmer verteilt nach der Liste. Es kam ein bißchen Unordnung in das genau festgelegte Programm, als Frau Hacker sich in gepflegtestem Oxfordenglisch an den Empfangschef direkt wendete wegen des Einzelzimmers. Zum Glück verstand sie nicht so ganz seine amerikanische Aussprache. Heiko konnte sich schnell einschalten und ihr erklären, daß es in Ordnung sei, sie bekäme ein Zweibettzimmer ganz allein. Ebenso die lange magere Frau Franzen. So waren alle zufrieden bis auf das Zimmermädchen, das in unserem Appartement zwei Betten extra beziehen mußte. Aber ein Geldstück von Heiko machte ihr die Arbeit scheinbar angenehmer.
„Du grüne Neune!“ rief Sonja, als wir endlich unser Appartement betreten konnten. „Habt ihr so was schon gesehen! Guck, Senta, eine Küche ist auch dabei“, sie riß ein paar Schranktüren auf. „Mit Kochtöpfen - und Tellern und Bestecken - sag mal, ist denn alles hier auf Selbstbedienung eingestellt?“
„Zum Teil wohl“, meinte Heiko. „So war es auch in Alaska.“
„Wenn wir also in den Lokalen einen Schlangenfraß kriegen, können wir selbst kochen!“ meinte ich.
„Jedenfalls können wir Morgenkaffee machen, und das tut not“, erklärte Heiko. „In puncto Kaffee macht euch auf alles gefaßt. Aber Kinder, jetzt in die Betten, wir müssen morgen scheußlich früh aufstehen. Rolf und Senta, nehmt ihr das Schlafzimmer, ich muß ja noch früher auf - packt nur das Allernotwendigste aus und macht eine Katzenwäsche!“
Das brauchte er uns nicht zweimal zu sagen. Nach zehn Minuten sanken wir in die Betten. Auf Rolfs Nachttisch lag ein Briefchen, das ihm gleich bei der Ankunft überreicht worden war. Er möge morgen früh gegen acht Professor Simmons anrufen.
Ob das glückliche Lächeln, das noch im Schlaf auf seinem Gesicht stand, Vancouver, Professor Simmons, dem schönen Flug oder der Anwesenheit meiner Wenigkeit zuzuschreiben war, weiß ich bis heute nicht. Aber ich tippte auf den Professor.
Es war erst halb sechs morgens, als die Gruppe - unbarmherzig per Zimmertelefon geweckt - sich in der Hotelhalle versammelte. Alle bis auf meinen Angetrauten, der noch zwei Stunden im Bett bleiben konnte. Er hatte mir eben einen verschlafenen Kuß gegeben und „viel Vergnügen“ gesagt. Dann schlief er wieder und ich stellte vorsorglich den Reisewecker auf halb acht, und entfernte ihn so weit weg vom Bett, daß Rolf ihn nicht aus alter Gewohnheit abstellen konnte.
Wir hatten heute ein tagesfüllendes Programm. Allerdings wußten wir nicht, daß es mit einem erfrischenden Fußmarsch anfangen sollte. Es war zu früh, um Frühstück im Hotel zu kriegen, und Herr Weiden führte uns zielbewußt durch morgenstille Straßen zu einem „Rund-um-die-Uhr“-Lokal, wo wir an zwei langen Tischen Plätze bekamen.
„Jetzt will ich hot cakes mit maple syrup essen!“ verkündete Sonja. „Das habe ich in Honolulu gegessen und sie schmecken unwahrscheinlich gut!“
„Marplesirup? Sind sie nach Miß Marple in den Agatha-Christie-Krimis benannt?“ wollte ich wissen.
„Nicht Marple, du Schaf! Maple ohne r! Es bedeutet Ahorn“, belehrte mich meine Schwester. „Heiße Kuchen mit Ahornsirup!“
Da ich mich beruflich verpflichtet fühlte, immer neue Gerichte kennenzulernen, bestellte ich auch die „hot cakes“. Heiko und Sonja waren den Gästen behilflich bei den Bestellungen und der Verständigung. Ich sah mir die Teilnehmer der Reihe nach an. Wer war zum Beispiel der dünne, dunkelhaarige, nervös wirkende Mann mit der großen Filmkamera?
„Ach der!“ konnte mich Herr Weiden aufklären. „Der ist mein Zimmergenosse. Er hat schon über das frühe Aufstehen gemeckert, und über das Essen im Flugzeug. Außerdem hat er gestern abend Schlaftabletten geschluckt und war heute um fünf kaum wachzukriegen. Er heißt - wie war das nun gleich - Balberg, ja, richtig. Und der mit der großen Brille ist Doktor Scherning, rechts neben ihm seine Frau. Dann Frau Lander mit Tochter.“
„Ja, die kenne ich!“
Isabel sah elend aus. Leichenblaß und mit matten, müden Augen. Die
Weitere Kostenlose Bücher