Rywig 10 - Machst Du mit Senta
und unser Züglein wartete hübsch, bis wir das Essen
intus hatten.
„Ja, dies sind also auch die Vereinigten Staaten von Amerika“, sagte Suse Kleefeld mit einem kleinen Lächeln. „Da denkt man an Wolkenkratzer und Lichtreklame, an Broadway und an Washington, an Capitol und das Weiße Haus, und vergißt ganz, daß dieses Land auch ein anderes Gesicht hat. Oder viele andere! Und daß dies hier gewissermaßen interessanter ist, das läßt sich wohl nicht leugnen.“
„Jedenfalls hätte man eine bequemere Bahn bauen können“, meckerte Herr Balberg. „Teuer bezahlenden Touristen so was anzubieten, das ist doch unerhört!“
„Dann erhebt sich die Frage, wem Sie die Vorwürfe machen wollen“, mischte Heiko sich ein. „Wir sind nämlich zufällig jetzt in Kanada! Und Fräulein Kleefelds Philosophie paßt sehr gut in Skagway, aber wie gesagt - seit ein paar Stunden sind wir nicht mehr in den USA.“
„Ach ja, richtig!“ rief Isabel. „Wir fahren ja nach Whitehorse, mitten im Yukon Territory, und das ist ja kanadisch!“
„Und ob das kanadisch ist! Das ganze, berühmte Yukongebiet spielt ja eine große Rolle in Kanadas Geschichte“, erklärte Herr Weiden.
Alle waren interessiert, alle studierten Karten und Routen. Kein Zweifel: Die Gruppe hatte sich zusammengefunden, wir hatten es unbedingt gemütlich, jeder konnte mit jedem sprechen. Nun ja, mit zwei Ausnahmen: Unser Professor machte beinahe nie den Mund auf, und der Meckerer Balberg machte es nur, um Unfreundliches zu sagen. Aber sonst hatten wir es nett! Ich meinte sogar bei Herrn Tesman eine ganz kleine Besserung zu spüren! Zweimal hatte er gestern gelächelt, und beim Abendessen hatte er nicht ganz einfach bestellt, sondern zuerst seine Frau gefragt, worauf sie Appetit hätte!
Am Nachmittag rollten wir dann in Whitehorse ein. Jochen Weiden hatte uns schon erzählt, woher die Stadt ihren Namen hat. Es gibt im Yukonfluß eine Stromschnelle, wo das Wasser wie eine wehende Fahne hochgeschleudert wird, die Phantasie der damaligen Bevölkerung hat darin eine wehende weiße Pferdemähne gesehen, und so kam die Stadt also zu dem Namen ,Weißpferd’. Ja, denn anders kann man ,Whitehorse’ nicht übersetzen!
Hier fiel mir dasselbe auf wie so oft auf dieser Reise: Alles war so frei, so offen, hier war so viel Platz! Ich bin nie in Tokio gewesen, aber ich habe Filme von dort gesehen. Wenn ich an das Menschengedränge dort denke, an die Busse und Bahnen, wo die Menschen in großen Trauben dranhängen! So verschieden können Städte sein! Hier konnte man atmen, man konnte was sehen, man wurde nie geschubst oder auf die Zehen getreten!
Aber Whitehorse hat kaum mehr als fünftausend Einwohner auf einer Fläche, die nach europäischen Großstadtverhältnissen vielleicht fünfzigtausend fassen könnte!
Der Busfahrer, der uns zum Hotel brachte, erzählte stolz, daß die Stadt fünfzig Bars und Restaurants hätte! Was ihn selbst anscheinend mehr interessierte als das Museum, die Radiostation und der Yukonfluß!
Mit letzterem machten wir am folgenden Morgen Bekanntschaft. Wir bestiegen ein kleines Motorschiffchen und machten eine Fahrt zwischen hohen Felsen, wobei eine geübte Hand am Ruder uns an den tückischen Stromschnellen heil vorbeiführte. Kein Wunder, daß das Befahren des Yukonflusses damals als eine große Leistung betrachtet wurde. Wer das geschafft hatte, wurde als würdig betrachtet, unter die richtigen Goldgräber aufgenommen zu werden.
Wir bekamen auch das ,Yukon-Zertifikat’ das sehr viel Lachen verursachte, als wir es mit viel Mühe übersetzt hatten. Ich habe das meine hier neben mir liegen, während ich dies schreibe, und werde versuchen, es zu übersetzen:
Hiermit wird bestätigt, daß dem Inhaber dieses Zertifikats, Senta Skogstad, der Titel Anfänger erster Klasse’ zugesprochen wird, indem er (es hätte nun ,sie’ stehen müssen) die Canyons vom Yukonflußdurchfahren ist, wobei er auf den Spuren des KlondikeGoldrausches blieb. Er ist nun verpflichtet, dem ungeschriebenen Gesetz des Yukons zu gehorchen:
® Nichts soll abgeschlossen werden.
2 Ein frierender, hungriger Mann ist immer willkommen.
© Wenn der Besitzer einer Hütte weggegangen ist, darf ein
Fremder reingehen und es sich bequem machen.
® Hinterlasse immer trockne Späne, Brennholz, Streichhölzer
und eine saubere Hütte.
© Wenn es notwendig ist, darf ein Mann sich von den Vorrä
ten bedienen, vorausgesetzt, daß er einen
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