Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
Weißt du, Allegra“, wandte er sich zu mir, „es war nämlich Katrin, die mir das Fahren beigebracht hat. Als ich noch nicht den Unterschied zwischen Ganghebel und Handbremse kannte, war sie schon eine versierte Fahrerin und
chauffierte für meinen Vater. Und das mit achtzehn Jahren!“
„Siehst du, eine Begabung habe ich auch“, lächelte Katrin, ließ den Motor an, schaltete den Gang ein und gab Gas.
Ich schrieb die Telefonnummer von Herrn Felsdorf auf, und Bernt Rywig ging zum Telefon, während Katrin den Mittagstisch deckte. Als er den Anschluß hatte, schaltete er einen kleinen Lautsprecher an, der mit einem Gummisaugnapf ans Telefon anmontiert war. So konnte ich das ganze Gespräch verfolgen.
Er drückte sich so geschickt aus, teilte alles in einer nüchternen und vorsichtigen Art mit, und versäumte nicht zu sagen, daß ich ganz ohne Schuld war. Die Fragen nach dem Zustand der Patientin, nach ihren Verletzungen und überhaupt alles Medizinische beantwortete er kurz und klar. Ja, er hielt sie für transportfähig, aber er wollte sicherheitshalber den Chefarzt fragen.
Herr Felsdorf wollte gern seine Mutter so bald wie möglich nach Deutschland haben, er wollte sie abholen und sie per Flugzeug nach Bremen bringen, damit die Operation dort gemacht werden könne. Wenn sie ein langes Krankenlager vor sich hätte, wäre es ihm eine Beruhigung, wenn er sie jeden Tag sehen und immer mit dem Krankenhaus in Verbindung bleiben könne.
Zuletzt bat er, mit mir sprechen zu dürfen, und ich nahm mit zitternder Hand den Hörer. Aber zum Zittern war kein Anlaß. Er war freundlich und voll Verständnis, und sagte dasselbe wie Katrin: „Es muß Ihnen ja erlaubt sein, zur Toilette zu gehen.“
Dann bat er mich, Frau Felsdorfs Koffer zu packen und zu untersuchen, ob man im Hotel das im voraus bezahlte Zimmer noch an einen anderen Gast vermieten könne. Und wenn ich Lust hätte, noch eine Woche zu bleiben, stünde dem nichts im Wege. Für die alte Dame konnte ich ja vorläufig gar nichts tun.
„Das solltest du tun, Allegra“, sagte Katrin. „Es wäre doch schön für dich, als freier Mensch hier zu sein und etwas mehr von diesem Land kennenzulernen.“
„Ja.“, sagte ich, „und im Hotel wohnt eine junge Deutsche, mit der könnte ich.“
„Siehst du! Das wird doch schön für dich sein, auch mit jungen Menschen zusammenzukommen“, meinte Bernt.
„Ja - ich weiß nicht - ja, doch, vielleicht.“ Meine Gedanken waren im Augenblick bei einem bestimmten jungen Menschen, einem mit Sommersprossen, einem der augenblicklich in Köln saß. „Dann kommt zu Tisch!“ rief Katrin, die in die Küche
verschwunden war. „Der Himmel weiß, wie das Essen geworden ist, ich mußte ja den ganzen Herd ausschalten, als das Unglück passierte.“
Dann aßen wir und plauderten weiter. Jetzt war eine wohltuende Ruhe über mich gekommen. Herr Felsdorf wußte Bescheid und machte mir keine Vorwürfe. Der alten Dame ging es verhältnismäßig gut. Und ich saß hier mit diesem entzückenden jungen Ehepaar, das so ganz selbstverständlich eingesprungen war, als ich Hilfe brauchte.
„Sind alle Norweger so wie ihr?“ fragte ich, als der größte Hunger gestillt war.
„So wie wir? Meinst du so komisch oder so impulsiv oder.“, fragte Bernt.
„Ich meine, so lieb. So hilfsbereit. So selbstverständlich hilfsbereit, wenn jemand Hilfe braucht.“ Bernt lächelte.
„Schön, daß du das findest. Nein, alle sind wohl nicht so, und ich war es ursprünglich auch nicht. Ich habe es lernen müssen. Ebenso Katrin. Wir haben eine gemeinsame Lehrmeisterin gehabt, das heißt, wir haben sie noch.“
„Was ist das für ein Wundermensch, wenn ich fragen darf?“
„Meine Stiefmutter“, sagte Bernt.
„Also meine Stief-Schwiegermutter“, ergänzte Katrin. Ich sah von dem einen zum anderen.
„Komisch. Die beiden Worte, die in Witzen und in Märchen immer als Sinnbild des Bösen hervorgehoben werden. Stiefmutter und Schwiegermutter.“
„Die Märchendichter und Witzemacher hätten unsere Beatemutti kennen müssen!“ rief Katrin. „Ich kenne keinen Menschen, der so geliebt wird wie sie. Daß ihr Mann und ihre eigenen zwei Kinder sie lieben, das ist klar. Aber ich liebe sie auch. Und ihre Schwiegersöhne auch!“
„Gar nicht von meinen beiden Schwestern und meinem Bruder und mir zu reden“, ergänzte Bernt.
„Die alte Dame möchte ich kennenlernen“, sagte ich. Die beiden brachen in ein schallendes Gelächter aus.
„Alte Dame ist
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