S - Spur Der Angst
Kaminfeuers mussten genügen.
Lautlos schlich sie um den Schreibtisch herum und zog an der großen Schublade unter der Tischplatte.
Fest verschlossen.
Großartig. Und jetzt? Der Schnee an ihren Stiefeln schmolz und bildete eine Pfütze auf dem Teppich, die hoffentlich getrocknet wäre, wenn Lynch am nächsten Morgen ins Büro kam. Langsam wurde ihr warm in ihren dicken Sachen.
Sie lockerte ihren Schal, doch die Handschuhe ließ sie an, als sie die seitlichen Schreibtischschubladen eine nach der anderen öffnete und nach dem Schlüssel für den kleinen Aktenschrank suchte. Nichts. Es war durchaus möglich, dachte sie, dass Lynch den Schlüssel bei sich trug, aber die meisten Leute verwahrten ihn in ihrem Büro.
Doch wo konnte er sein?
Vielleicht bei Charla King.
Nein, das machte keinen Sinn. Jules bezweifelte, dass Lynch irgendwem den Schlüssel zu seinen persönlichen Akten anvertraute, auch nicht seiner langjährigen Sekretärin.
Peng!
Das Feuer knackte plötzlich laut, ein Geräusch, das in der Stille klang wie ein Gewehrschuss.
Jules unterdrückte einen Schrei. Ihr Puls schoss in die Höhe, und beinahe hätten ihre Knie nachgegeben. Ihr fehlte einfach das Talent für ein solches Mantel-und-Degen-Stück.
Schnell tastete sie die Unterseite der Schubladen und des Schreibtischs ab, sah unter den Blumentöpfen nach und hob sogar die Ecken des Teppichs hoch. Weiterhin nichts.
Frustration machte sich in ihr breit.
Wo konnte er den Schlüssel nur versteckt haben?
Bestimmt war er gar nicht im Büro. Aber wo dann?
Zwar gab sie für gewöhnlich nicht schnell auf, aber jetzt gingen ihr die Ideen aus. Die Zeit arbeitete gegen sie. Schon bald würden Taggert und Takasumi in der Kirche nach ihr sehen. Würden sie denken, sie sei schon wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt, oder würden sie nach ihr suchen? Sie wusste es nicht.
Ihre Finger in den Handschuhen fingen an zu schwitzen. Da entdeckte sie einen Brieföffner in der obersten Schreibtischschublade, aber er war zu groß für das Schloss. Dasselbe galt für die Nagelfeile und ihre eigenen Schlüssel. Alle zu groß.
»Verdammt, verdammt, verdammt«, flüsterte sie.
Vielleicht stand ja gar nichts Wichtiges in den Akten. Vielleicht waren all ihre Mühen umsonst. Trotzdem … Sie tastete die Rückseite des Aktenschränkchens ab – vergeblich. Außer mit einem Hammer würde sich das verdammte Schloss wohl niemals öffnen lassen.
Knaaarz.
Ein Schritt ertönte im Flur.
Jules schlug das Herz bis zum Hals.
Sie erstarrte und betete, sich das Geräusch nur eingebildet zu haben, doch dann hörte sie tatsächlich Schritte, die auf das Büro zuzukommen schienen.
Allmächtiger!
Schlüssel klimperten auf der anderen Seite von Lynchs Bürotür.
O nein!
Jules huschte gerade hinüber zur Toilettentür, als sie die gedämpfte Stimme des Reverends durch die Tür dringen hörte. »Nun, ich hoffe bei allen Heiligen, dass endlich das FBI hier aufkreuzt«, sagte er. »Irgendwer muss doch etwas unternehmen!«
Mit wem redete er da? Hoffentlich mit jemandem, der ihn so lange ablenkte, dass sie fliehen konnte.
»Unbedingt!«
Die Bürotür wurde aufgeschlossen, gerade als Jules in die Toilette schlüpfte und leise die Verbindungstür hinter sich zuzog.
»Glauben Sie mir, ich weiß sehr wohl, dass wir ein ernsthaftes Problem haben«, sagte er. Jules’ Herz raste wie verrückt, als sie hörte, wie Lynchs Schritte durchs Büro hallten. Sollte sie bleiben oder lieber versuchen, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen?
Lynch redete immer noch, die Stimme erhoben, doch niemand antwortete. Vermutlich telefonierte er. »Das weiß ich! Schicken Sie einfach jemanden her … Wie bitte? Sheriff? Ich höre Sie nicht mehr! Können Sie mich verstehen?« Eine Pause. »Sheriff O’Donnell? Können Sie mich verstehen?« Eine weitere Pause, länger diesmal. Jules wagte kaum zu atmen. »Sheriff? Du meine Güte. Blaine? Ich höre Sie nicht mehr. Ich lege jetzt auf! Bitte rufen Sie mich zurück.«
Dann folgte nur noch Schweigen.
Jules verharrte reglos, das Ohr an die Tür gepresst. Schweiß lief ihr über den Rücken. Jede einzelne Zelle in ihr drängte auf Flucht.
Sei geduldig.
Warte einfach ab.
Vielleicht erfährst du etwas.
Sie schloss die Augen.
Konzentrierte sich.
Durch die geschlossene Tür vernahm sie ein Klicken wie das von einem Schloss, dann wurde eine große Schublade geöffnet. Sie biss sich auf die Lippe und versuchte, ruhig zu atmen.
Klatsch! Warf er etwa Unterlagen
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