S - Spur Der Angst
nach dem Mord an Maeve.
Stattdessen tigerte sie rastlos durch ihr Einzimmerapartment und dachte an Maeve, die einsam und verlassen im Pferdestall gegen den Pfosten lehnte, zwei große Blutlachen neben ihren Handgelenken. Es war ein ganz ähnliches Bild wie das ihres Vaters in seinem Arbeitszimmer, das sie seit der Nacht seiner Ermordung verfolgte.
Was hatte ihr Psychologe gesagt? Dass sie über die einzigartige Fähigkeit verfüge, Dinge auszublenden, mit denen sie nicht konfrontiert werden wolle, während sie sich gleichzeitig an anderen festbeiße. Er war fasziniert gewesen von ihrem Fall, hatte ihr erklärt, dass sie Trent aus ihrem Leben verbannt habe aus Furcht, er würde sie verlassen, wenn sie sich zu sehr auf ihn verließ. Genau wie ihr Vater sie nach seiner Scheidung von ihrer Mutter verlassen hatte. Genau wie ihr Stiefvater sie nach seiner kurzen Ehe mit ihrer Mutter verlassen hatte. Und wiederum wie ihr leiblicher Vater, als er während seiner zweiten Ehe mit Edie ermordet worden war. Rips Tod hatte in ihr das Gefühl ultimativer Verlassenheit ausgelöst.
Er wollte dich nicht verlassen.
Er hat dich verlassen, weil jemand ihn umgebracht hat.
Du hast Trent fortgestoßen, weil du Angst hattest, ihn zu sehr zu lieben, weil du Angst hattest, er könnte dir weh tun, könnte dich ebenfalls verlassen … Du warst ein Feigling, Jules.
»Hör auf damit!«, befahl sie sich selbst. Ihre Stimme in dem stillen Apartment klang lauter, als sie erwartet hatte. Nein, sie würde sich jetzt nicht auf die kräftezehrenden Kämpfe einlassen, die sie so häufig mit sich selbst ausfocht und die stets von diesen hämmernden, gnadenlosen Kopfschmerzen begleitet wurden. Und genau die machten sich gerade hinter ihren Augen bemerkbar.
Denk nach, Jules, denk nach. Überleg, was du tun kannst, verdammt noch mal!
Bevor Shay etwas zustößt!
Sie ging ins Badezimmer, nahm ihr Döschen Migränetabletten von der Ablage und spülte vier Stück mit einem Schluck Leitungswasser hinunter. Dann richtete sie sich wieder auf, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und warf einen Blick auf ihr Spiegelbild. Angst stand in ihren Augen – und Verdrossenheit.
Wer steckte hinter diesen brutalen Morden, die sich nicht wirklich zusammenbringen ließen, da der Modus Operandi stets ein anderer war? Früher hatte sie Abend für Abend CSI, Law & Order und jede Menge andere Forensikserien im Fernsehen geschaut, sie wusste, wie so etwas ablief. Es war extrem merkwürdig, dass der Mörder Drew mit einer Axt oder einem Beil getötet hatte, Nona dagegen erwürgt und anschließend erhängt hatte, während er bei Maeve mit einem Jagdmesser und Feuer vorgegangen war. Nona und Drew waren nackt gewesen, Maeve vollständig bekleidet, aber vermutlich hatten Erstere ihre Sachen selbst ausgezogen, um miteinander zu schlafen.
Es musste eine Verbindung zwischen den einzelnen Taten geben, die ihr bislang entgangen war, eine andere als der gemeinsame Tatort Pferdestall.
Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, dann trocknete sie sich ab und warf erneut einen Blick in den Spiegel.
Woher hatte der Mörder gewusst, dass Maeve im Stall sein würde?
Weil er sie mit seiner Nachricht dorthin gelockt hat. Denk an das Blatt, auf dem OMEN geschrieben stand.
Ja, das war die einzig schlüssige Erklärung dafür, dass Maeve mitten in der Nacht das Wohnheim verlassen hatte: Sie hatte sich mit Ethan Slade treffen wollen. Genau das hatte sie, Jules, Trent vorhin erklärt.
Sie schaltete das Licht im Badezimmer aus und ging in den Wohnbereich, wo sie vor ihrem Schreibtisch stehen blieb. Hastig blätterte sie durch einen Stapel Papiere, der willkürlich neben ihrem Computer aufgeschichtet war, und stieß auf den Einsatzplan für die Sicherheitspatrouillen. Sie überflog die Liste mit den Teams und hielt inne, als sie zu der Zeitspanne kam, in der Maeve ermordet worden sein musste.
»Ihr seid erledigt, Jungs«, murmelte sie, als sie feststellte, dass Ethan Slade und Roberto Ortega unter der Leitung von Salvatore DeMarco am Abend bis dreiundzwanzig Uhr zum Sicherheitsdienst eingeteilt gewesen waren.
Weiter.
Sie fuhr mit dem Finger die Liste entlang nach unten. Nach Ethan und Roberto übernahmen Missy Albright und Eric Rolfe, die verantwortliche Lehrkraft war Bert Flannagan. Aber Flannagan war allein im Pferdestall aufgetaucht und anschließend damit beschäftigt gewesen, Lynch und Meeker zu benachrichtigen und sich um die Folgen des Feuers zu kümmern.
Was
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