S - Spur Der Angst
Toilette finden, und von meinem ersten Tag meinte ich mich zu erinnern, dass hier auf jeden Fall eine ist. Es war echt dringend …« Sie überließ den Rest Taggerts und Missys Vorstellungskraft und bemühte sich um einen verlegenen Gesichtsausdruck.
Den Missy ihr offensichtlich nicht abkaufte. »Tatsächlich?«, spottete sie. »Es gibt mehrere Toiletten in der Nähe des Gemeinschaftsraums, einfach nur den Gang entlang. Du musst direkt daran vorbeimarschiert sein.« Du meine Güte, hatte sie eine schrille Stimme!
Shay zuckte die Achseln, als würde sie damit ihre Dummheit eingestehen. »Ich hab nichts gesehen.«
»Nun, dann weißt du’s ja jetzt.« Taggert, der Psychologielehrer, sah sie durchdringend an, als wisse er nicht, was er glauben solle. Seine Lippen unter dem Ziegenbärtchen zuckten verärgert. »Hat dein Gruppenleiter dir keine Begleitperson zugeteilt?«
»Doch«, sagte sie und dachte an Ethan Slade. »Aber leider einen Mann.« Wenn sie doch nur erröten würde, das wäre sicher hilfreich! Weil es jedoch nicht klappte, bemühte sie sich weiterhin um einen verlegenen Gesichtsausdruck und starrte angestrengt auf den Fußboden, inständig hoffend, ihre Aktion, Jules herbeizubeordern, wäre den Ärger wert.
Als Wade Taggert nach der Verbindungstür griff, bemerkte Shay aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Sie drehte sich um und sah Jacob McAllister, besser bekannt als »Vater Jake«, mit großen Schritten durch den Durchgang auf das Verwaltungsgebäude zueilen. »Stimmt etwas nicht?«, fragte er, als er bei ihnen angekommen war.
»Miss Stillman hat sich offenbar verlaufen«, erwiderte Wade.
»Das kann schnell mal passieren«, sagte Vater Jake keineswegs beunruhigt.
»Sie konnte die Toilette nicht finden«, versetzte Missy mit schnippischer Kleinemädchenstimme und warf dem gut aussehenden Geistlichen kokette Blicke zu.
»Aber schlussendlich hat sie eine gefunden, dann ist doch alles in Ordnung, oder?« Vater Jake lächelte.
»Stimmt.« Shay mochte ihn, ob sie wollte oder nicht.
Vater Jake grinste. »Gut. Du solltest jetzt besser zu den anderen gehen.«
»Na los«, forderte Taggert sie mit zusammengekniffenen Augen auf und öffnete die Tür, damit die Mädchen hindurchgehen konnten.
»Ich komme gleich nach«, sagte McAllister und wandte sich Richtung Kirche. Shay wäre ihm am liebsten gefolgt, diesem Geistlichen in Jeans und Daunenjacke. Er kam ihr wenigstens echt vor.
Während sie den Verbindungsgang entlangeilten, warf Missy Shay einen vernichtenden Ich-habe-dich-durchschaut-Blick zu, den diese geflissentlich ignorierte. Stattdessen öffnete sie energisch die Tür zum Gemeinschaftsgebäude, ging eilig den kurzen Gang mit den deutlich gekennzeichneten Toiletten entlang und betrat den großen Gemeinschaftsraum.
Die Jugendlichen lernten oder unterhielten sich miteinander, Banjo klimperte auf ihrer Gitarre, ein paar aus ihrem Trupp saßen um sie herum und hörten zu.
Ethan lümmelte in einem abgewetzten Sessel, Lucy Yang setzte sich gerade neben Banjo auf die rostfarbenen Polstermöbel. Lucy war eine der wenigen hier in Blue Rock, die Shay mochte. Zweifelsohne hatte sie etwas im Kopf, und sie war unbeugsam wie Stahl – ein toughes Mädchen mit kurzen, strubbeligen Haaren und misstrauischen Augen, in denen genau jene Respektlosigkeit stand, die sie vermutlich in dieses Institut gebracht hatte.
Zum Glück waren nicht alle zu furchteinflößenden Robotern mutiert. Shay warf einen flüchtigen Blick auf Nona, die, ein geöffnetes Buch vor sich, mit Maeve und Nell plauderte. Trotz ihres unterschiedlichen Aussehens versuchten die drei, ihre Freundschaft durch ähnliche Klamotten, Frisuren und Einstellungen zu demonstrieren. Sie starrten Shay an. Als Shay im Vorbeigehen ihre Blicke erwiderte, wandten Nona und Nell die Augen ab, Maeve dagegen bedachte sie mit demselben frostigen Ausdruck im Gesicht wie schon seit ihrer Ankunft.
Ethan rappelte sich aus seinem Sessel hoch und rief: »He! Ich wollte mich schon auf die Suche nach dir machen!«
Maeve blickte ihn säuerlich an.
»Sie war drüben im Verwaltungsgebäude«, teilte Wade ihm mit.
»Was? Warum denn?« Ethans Blick verfinsterte sich.
»Sie konnte die Toilette nicht finden«, erklärte Missy mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ihr Ton machte mehr als deutlich, dass sie Shay kein Wort glaubte.
Ethan verstand. »Aber –«
»Ja, ja, ich weiß schon«, fiel Shay ihm ins Wort. »Ich bin dran vorbeigegangen, so einfach ist das. Meine Güte, ihr
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