S - Spur Der Angst
Julia, was hattest du erwartet? Natürlich hat sie dich angerufen, weil du diejenige bist, die sie immer zu becircen weiß. Reverend Lynch hat vorhergesagt, dass das passieren würde; es ist vollkommen normal.«
»Das ist nicht normal, Mom.«
»Du musst dich damit abfinden.«
»Das kann ich nicht. Sie hat mich angerufen.«
»Sie hat es sich selbst zuzuschreiben, dass sie dort gelandet ist.«
»Dann lass uns über diesen Reverend sprechen. Was soll diese Villa am See? Das ist auch nicht normal. Prediger – zumindest aufrechte christliche Geistliche – leben für gewöhnlich nicht in Häusern, die mehrere Millionen Dollar wert sind.«
Edie seufzte dramatisch. »Natürlich tun sie das nicht. Ich habe dir bereits erklärt, dass die Villa der Schule gehört, und ich gehe davon aus, dass jemand sie dem Institut vermacht hat – vielleicht ein dankbarer Großvater.«
»Ein dankbarer, vermögender Großvater.«
»Es ist kein Verbrechen, Geld zu haben«, wies ihre Mutter sie zurecht. »Warum musst du immer so negativ sein, Julia?« Damit war das Gespräch im Grunde beendet.
Als Jules auflegte, fühlte sie sich noch schlechter. Übertrug sie tatsächlich ihre eigene negative Einstellung auf diese Geschichte? Trotz aller Unterstützung hatte Erin Jules deutlich zu verstehen gegeben, dass Shaylee keineswegs ungewöhnlich behandelt wurde, ja, auch sie hatte die Blue Rock Academy als Chance für ihre kleine Schwester gesehen. Kommunikation mit der Außenwelt war in der ersten Zeit angeblich nirgendwo erlaubt.
»Denk nur mal an Entzugskliniken oder Rehazentren«, hatte Erin gesagt. »Sämtliche negativen Einflüsse müssen radikal unterbunden werden.«
Vielleicht nahm Jules das Ganze viel zu ernst. Shay war immer schon eine Dramaprinzessin gewesen, die zu gern Dramakönigin geworden wäre, doch diesen Titel hatte Edie nicht abtreten wollen.
Frustriert schleuderte Jules ihren Stift auf den Schreibtisch und befahl sich, mit den Grübeleien aufzuhören, zumal alle anderen davon überzeugt zu sein schienen, dass Shay in den richtigen Händen war.
Diablo sprang auf ihren Schreibtisch. Sein langer Schwanz zuckte, seine goldenen Augen fixierten ihre Finger, die erneut auf die Computertastatur eintippten.
»Verrat mich nicht«, flüsterte sie ihm zu und gab »Cooper Trent« bei Google ein. Seit sie mit Erin und Gerri im Oki gewesen war, hatte sie an ihn gedacht. Es war dumm, und das wusste sie, aber er wollte ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.
»Na großartig«, murmelte sie, als auf ihre Anfrage Dutzende von Artikeln erschienen, darunter auch Fotos. Sie sortierte sie nach Datum und stieß auf einen Bericht von vor ein paar Jahren, als er beim Büro des Sheriffs von Pinewood County in Grizzly Falls, Montana, angefangen hatte. In irgendeinem Fall war ihm eine wichtige Festnahme gelungen, doch das spielte jetzt keine Rolle. Auf der offiziellen Website von Pinewood County war jedoch kein Deputy Cooper Trent aufgeführt.
Also war er entweder gefeuert worden, oder er hatte selbst gekündigt und war jetzt vom Radar verschwunden.
Nicht dass ihr das etwas ausmachte. Der Kater sprang auf ihren Schoß und schaute sie miauend an. »Ich weiß«, gab sie zu und streichelte sein weiches Köpfchen. »Ich bin eine dumme Gans. Und, ist das etwas Neues?«
Trent verschloss die Tür zum Geräteschuppen in der Nähe des Bootshauses und rüttelte daran, bis er hörte, wie der Metallriegel einschnappte. Hier wurden die Kanus, Schneeschuhe, Kajaks sowie die Berg- und Angelausrüstungen aufbewahrt, und er war dafür verantwortlich. Zufrieden, dass alles gut gesichert war, schlug er den Kragen gegen den eisigen Wind hoch und überquerte den Campus, um sich auf den Weg zu seinem Blockhaus zu machen, einem von mehreren, in denen die Angestellten untergebracht waren. Seins lag ganz schön weit entfernt – über eine Viertelmeile, weit fort von den Wohnheimen und dem Gemeinschaftsgebäude, eher in der Nähe der Zwinger, Stallungen und Scheunen.
Doch er wollte sich nicht beschweren, vermutlich hatte er noch Glück gehabt. Er brauchte sich das Blockhaus mit niemandem zu teilen, allerdings lag das hauptsächlich an dessen Zustand. Es war nicht nur das kleinste, sondern auch das älteste auf dem Campus, eins von den wenigen Gebäuden, die aus der Zeit übrig geblieben waren, in der dieser isolierte Flecken Erde eine Oase für Jäger und Angler gewesen war. Erbaut im frühen zwanzigsten Jahrhundert, hatte man die Original-Jagdlodge
Weitere Kostenlose Bücher