S - Spur Der Angst
dort eben absitzen müssen. Doch sollten sich ihre Befürchtungen bewahrheiten, und das Institut stellte sich nicht als das heraus, was es in seinen Hochglanzprospekten von sich behauptete, würde Jules ihre Schwester mitnehmen und den Schwindel öffentlich machen.
Edie würde sich mit ihrer Tochter auseinandersetzen und Shay in einer Tageseinrichtung unterbringen müssen. Und wenn das nicht funktionierte, musste Shay ihren Stolz hinunterschlucken und entgegen ihrer Überzeugung mit Jules zusammenziehen.
Doch während Meile um Meile an ihr vorbeiflog, spürte sie Zweifel in sich aufsteigen.
Was, wenn du dich irrst? Was, wenn es nichts an dem Institut auszusetzen gibt? Was, wenn du, wie dein Ex-Mann so oft behauptet hat, eine Panikmacherin bist, ein Mensch, der überall Verschwörungen wittert?
»Ich bin keine Panikmacherin«, sagte sie laut und stellte das Radio an. Waylon Jennings und Willie Nelson sangen über Mütter, die ihre Kinder zu Cowboys erzogen.
Vor ihrem inneren Auge erschien Cooper Trents markantes Gesicht. Krähenfüße zogen sich um seine tiefliegenden Augen, deren Farbe im Sonnenlicht von Grün zu Gold wechselte. Sein glattes, ewig zerzaustes Haar, durchzogen von hellen Strähnchen dank stundenlanger Aufenthalte in der Sonne. Seine Nase war mit Sicherheit mehr als einmal gebrochen gewesen, und seine Kiefermuskeln waren so ausgeprägt, dass ein Pitbull hätte neidisch werden können. Keine klassische Hollywoodschönheit, nein, aber stark und sexy und eine echte Nervensäge.
»Verflixt!« Sie schaltete das Radio aus. »Lass mich bloß in Ruhe«, brummte sie und riss ihre Gedanken von dem Mistkerl los. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sich in einen Bullenreiter zu verlieben, der sich schon bald darauf als Dummschwätzer entpuppt hatte? Wie hieß es noch gleich? Wenn es hart auf hart kommt … Nun, so war es eben mit Trent gewesen, und sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendete.
»Das ist lange, lange her«, murmelte sie und stellte die Scheibenwischer an. Schneeregen hatte eingesetzt.
Sie besaß kein GPS und orientierte sich an der Karte, die sie aus dem Internet ausgedruckt hatte. Bislang war die Fahrt kein Problem gewesen: Nimm die I-5 und fahr über vierhundert Meilen nach Süden. Doch jetzt wurde es etwas komplizierter, der Schneeregen wich mehr und mehr dickeren Flocken, die über ihre Windschutzscheibe tanzten und sich am Rand des Highways sammelten.
Großartig. Einfach großartig.
Jules ging vom Gas und kroch mit etwa fünfzig Meilen pro Stunde vorwärts. Erleichtert entdeckte sie schließlich das Ausfahrtschild. Von der Interstate bog sie auf einen County Highway ab, eine schmale Straße, die sich in Serpentinen durch steile Canyons schlängelte. Jules’ Knöchel schmerzten, so fest hielt sie das Lenkrad umfasst. Die kleinen Städtchen in den Bergen waren nicht viel mehr als eine Handvoll Häuser an einer Kreuzung. Was für ein verlassenes, einsames Stück Straße, das jetzt weiß war vom Schnee.
Ihr Handy in dem unbenutzten Becherhalter piepste. Sie meldete sich, ein wachsames Auge auf der Straße. »Hallo?«
»Ms. Farentino?« Die Stimme kam ihr entfernt bekannt vor. »Hier spricht Dr. Hammersley von der Blue Rock Academy.«
Jules sank der Mut. Die Schule hatte herausgefunden, dass sie eine Betrügerin war, und die Oberstudienrätin rief an, um ihr mitzuteilen, dass man das Stellenangebot zurückziehen würde.
»Es tut mir leid, Ihnen Unerfreuliches mitteilen zu müssen«, fuhr Hammersley fort.
O Gott. Während die Scheibenwischer den Schnee beiseitefegten, hielt Jules Ausschau nach einer Stelle, an der sie rechts ranfahren konnte, aber die Straße war zu eng. »Worum geht es denn?«
»Zwei unserer Schüler haben einen schweren Unfall erlitten.«
Shay! Ihr Herz setzte für einen Schlag aus. Du kommst zu spät! Deiner Schwester ist etwas Entsetzliches zugestoßen!
»Ich möchte Sie nicht beunruhigen …«, sagte Hammersley.
Zu spät!
»… aber ich hatte Sorge, Sie würden es in den Nachrichten hören. Ich wollte Ihnen lieber persönlich mitteilen, dass einer unser Schützlinge in kritischem Zustand in ein nahe gelegenes Krankenhaus eingeliefert wurde.«
Jules hielt entsetzt die Luft an.
»Die Ärzte sind sich nicht sicher, ob er es schaffen wird.«
Er. Gott sei Dank nicht Shay.
Hammersley räusperte sich, während Jules grauenhafte Szenarien durch den Kopf schossen, was ihrer Schwester und diesem anderen
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