S - Spur Der Angst
ernst fort. »Bitte haltet euch an unsere Ausgangssperren, und bitte seid nach Einbruch der Dunkelheit ausschließlich in Gruppen unterwegs.« Er breitete weit die Arme aus, als wolle er die versammelte Menge umschließen. »Lasset uns beten …«
Während Jules den Kopf senkte, fiel ihr Blick auf Deputy Meeker, der am Rand der Menge stand – die Waffe an seiner Hüfte eine stumme Mahnung, dass sich ein Mörder unter ihnen befand.
Kapitel dreiundzwanzig
J ules war erschöpft, und ihr Kopf pochte, als sie in Gedanken noch einmal die Ereignisse des Tages durchging. Die lange Fahrt, die panischen Anrufe von Shaylee, die Aufregung wegen der jüngsten Vorfälle auf dem Campus und jetzt auch noch die Bestätigung, dass in Blue Rock ein Mörder umging.
Sie betrachtete die Packung mit Migränetabletten auf der Ablage im Badezimmer und beschloss, drei statt der üblichen zwei zu nehmen, die sie mit einem Glas Wasser hinunterspülte. Anschließend trat sie an die Küchenzeile, spähte in die Schränke und fand Kaffee, Teebeutel, Kakaopulver und einen kleinen Kaffeezubereiter, ähnlich denen in Flughafenhotels. Sie setzte Wasser auf und beschloss, zuerst zu duschen und sich anschließend einen Kräutertee zu machen.
Im Badezimmer schlüpfte sie aus ihren Klamotten und stellte sich unter den heißen, dampfenden Wasserstrahl, bis die Anspannung ein wenig von ihr abfiel. Sie dachte an Shay, wie sie geduckt den verschneiten Weg zum Wohnheim zurückhuschte. Solange sie beide auf diesem Campus gefangen waren, musste sie ihre Schwester beschützen, das war das vorrangigste Ziel.
Was war nur mit Shay geschehen? Jules dachte an die Vierjährige, die ihr entgegengerannt war, sobald der Schulbus an der Ecke vor ihrem Haus gehalten hatte, an die eifrige Grundschülerin, die ihre ältere Schwester vergöttert hatte. Jules hatte ihr oft bei den Hausaufgaben geholfen, auch wenn sie sich jetzt fragte, ob das wirklich nötig gewesen war. Shay war immer schon ein kluges Mädchen gewesen, und Jules war sich nicht sicher, ob ihre Schwester sie manipuliert hatte, damit sie selbst nichts tun musste oder weil sie mehr Zeit mit Jules herausschinden wollte. Sie hatten zusammen Edies Scheidung von Max und ihre neuerliche Hochzeit mit Rip durchgestanden, die ständigen emotionalen Hochs und Tiefs ihrer Mutter, ihren Zorn, ihre Liebe. Sie hatten zusammengehalten. Selbst nachdem Jules fortgezogen war, um aufs College zu gehen, hatte sie versucht, engen Kontakt zu Shay zu halten, doch irgendwann war ihre kleine Schwester vom Kurs abgekommen und hatte ihrer Mutter und Jules große Sorgen bereitet.
Deshalb war Jules jetzt hier.
Um Shay auf jede erdenkliche Art und Weise zu helfen.
Sie stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und zog ihren Pyjama über, dann blieb sie vor dem Spiegel stehen und fragte sich, wie sie wohl ausgesehen haben mochte, als sie Trent auf dem Parkplatz gegenübergestanden hatte. Mein Gott, sie war stundenlang unterwegs gewesen, war fix und fertig und hatte keinerlei Make-up aufgelegt! Zwar war sie noch längst keine dreißig, doch das, was sie durchgemacht hatte, ließ sie älter wirken. Wie hatte ihre Mutter sie genannt? Eine »reife Seele«. Auch wenn das natürlich albern war.
»Du bist immer noch ein taufrisches Mädchen«, sagte sie zu sich, gerade als das Handy in ihrem kombinierten Wohnschlafzimmer klingelte. Mit Sicherheit war das wieder Shay. Barfuß rannte sie hinüber und schnappte sich das Telefon von der Kommode. »Hallo!«
»Ach, Gott sei Dank, da bist du ja endlich!«, rief Edie mit zitternder Stimme. »Hast du schon die schrecklichen Neuigkeiten gehört? Du lieber Himmel, das ist ja entsetzlich! Ich denke, ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht!«
»Nun mal langsam, Mom.« Jules hatte den Anruf erwartet, obwohl man bei Edie nie ganz sicher sein konnte. »Beruhige dich bitte.«
»Wie soll ich mich beruhigen, wenn deine Schwester an der Blue Rock Academy ist? Dort ist gestern Nacht ein Mord geschehen!« Ihre Stimme überschlug sich. »Hast du das nicht in den Nachrichten gesehen?«
»Ich weiß, Mom«, sagte Jules ruhig. »Ich habe mit Shaylee gesprochen.«
»Du liebe Güte, kannte sie die Opfer?«
»Ja. Bei dem Jungen bin ich mir nicht sicher, aber das Mädchen war ihre Zimmergenossin.«
Edie stieß einen spitzen Schrei aus.
»Shay geht es den Umständen entsprechend gut. Natürlich ist sie erschüttert und würde die Schule gern verlassen, aber soweit ich weiß, ist das unmöglich, nicht nur wegen
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