S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
meiner Dissertation zu arbeiten. Kurz nach 18 Uhr bin ich auf S3. Ich setze mich an einen der Tische, dorthin wo auch Mara, Jessica und Susanne saßen. Etwa 10 Meter links von mir summt einer der Kopierer, hinter mir räumt eine Uni-Angestellte Bücher ein. Viel los ist um diese Zeit nicht mehr, schließlich ist Freitag Abend und Freitag Abend hat der Durchschnittsstudent Anderes zu tun als in der Bib zu arbeiten oder auf paranormale Phänomene zu warten. Menschenleer ist es aber auch nicht.
Ich klappe meinen Laptop auf und mache mich ans Werk. Etwa zwei Stunden schreibe ich an meiner Diss, dann lässt die Aufmerksamkeit nach. Ich lese mir die Interviews durch, die ich mit Tobias und Achim geführt habe und suche nach Gemeinsamkeiten. Angenommen, ihre Geschichten stimmen: Dann hat dieses „Wesen“ auf die Männer von vorneherein aggressiv bzw. feindselig reagiert. Den Frauen gegenüber verhielt es sich nicht aggressiv bzw. erst dann, als es zurückgewiesen wurde. Aber daran irgendwelche Folgerungen anzuschließen, das wäre nur Spekulation. Ich habe schließlich erst mit fünf Leuten gesprochen. Vielleicht meldet sich ja noch jemand.
Gegen neun fange ich wieder mit der Arbeit an meiner Diss an. Aber irgendwie bin ich heute nicht fit, auch der Automatenkaffee hilft nicht. Kurz vor zehn kann ich kaum noch die Augen offen halten und einmal muss ich so gähnen, dass ich kurz eine Art „Kiefer-Zerrung“ habe – recht unangenehm übrigens. Mittlerweile ist es hier unten ruhig und menschenleer, nur das leise Rauschen der Lüftung ist zu hören. Ab und zu auch entfernte Stimmen, wahrscheinlich aus einem anderen Stockwerk.
Ich könnte nach Hause gehen und mich auf die Couch legen. Oder ich mache kurz die Augen zu und entspanne mich, vielleicht geht es dann wieder. Irgendjemand hat mir mal erzählt, dass sich Albert Einstein, wenn er müde war, mit einem Löffel in der Hand auf einen Stuhl setzte. Dann machte er die Augen zu, schlief ein, ließ nach ein paar Sekunden den Löffel fallen, wachte durch das Geräusch auf und war ausgeruht. Eigentlich halte ich diese Geschichte ja für Blödsinn, aber versuchen kann man es ja. Ich stütze also den Kopf auf meine Fäuste und mache die Augen zu. Wenn ich einschlafe, dann wird mein Kopf zwischen den Fäusten heruntersinken und ich werde aufwachen. Es tut gut, die Augen zu schließen. Das Geräusch der Lüftung hat etwas Beruhigendes...
Ich reiße den Kopf hoch und die Augen auf. Der Monitor meines Laptops ist schwarz, Stromsparmodus. Ich habe geschlafen. Aber geweckt hat mich nicht das Herabsinken meines Kopfes, sondern ein Geräusch hinter mir, ein dumpfes Platschen. Ich kenne dieses Geräusch. Es entsteht, wenn ein schweres Buch mit der flachen Seite auf den Boden fällt. Plötzlich geht der Bildschirm an und blendet mich, ich bin mit dem Ellenbogen an die Maus gekommen. Ich kneife die Augen zusammen, drehe meinen Oberkörper und schaue in den halbdunklen Gang hinter mir. Es ist niemand zu sehen, der dieses Geräusch verursacht haben könnte, es liegt auch kein Buch auf dem Boden. Ich stoße mich mit beiden Händen vom Tisch ab und stehe auf. Irgendwo muss etwas heruntergefallen sein. Ich gehe mehrere Gänge ab, finde aber weder einen anderen Menschen noch irgendetwas, das auf dem Boden liegt. Ich will schon zurück zu meinem Platz, als ich in einiger Entfernung Schritte höre. Also bin ich doch nicht allein. Die Schritte kommen aus der Richtung, in der die Treppe ins Geschoss darüber liegt. Schnell hinterher. Nachsehen ob da jemand ist. An der Treppe angekommen sehe ich einen dunkel gekleideten Mann, der nach oben läuft, auf dem Arm einen Stapel Bücher.
„Ähm Entschuldigung...“
Er dreht sich um. „Ja?“
Der Mann hat ein Jungengesicht, ein Student, wahrscheinlich noch nicht einmal zwanzig.
„Ist dir gerade ein Buch runter gefallen?“
Er grinst mich an und ich weiß nicht recht, ob in diesem Grinsen Spott oder Verlegenheit liegt.
„Ja, tut mir leid wenn ich dich geweckt habe.“
„Kein Problem“ murmele ich. Und während ich noch murmele bin ich schon unterwegs zu meinem Platz. Ich setze mich an meinen Computer, lege ein neues Text-Dokument an und schreibe das hier. Gegen 22.30 verlasse ich die Bibliothek.
Zuhause werfe ich mich auf die Couch und mache den Fernseher an. Aber richtig „abschalten“ kann ich nicht, gedanklich bin ich bei S3. Kurz nach zwölf setze ich mich noch einmal an den Computer und lege eine Liste der Ereignisse an, die
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