S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
beschrieb diese Erscheinung als „eher hoch“, einem aufrecht stehenden Menschen ähnlich.
Alle anderen haben lediglich Geräusche gehört und/oder Berührungen gespürt. Susanne beschreibt die Berührung an ihrer Schulter wie das Auflegen einer Hand. Mara wiederum spricht von einem „Streicheln“. Und Jessica hörte „Schritte“. All das spricht dafür, diese „Präsenz“ als etwas Menschenähnliches zu betrachten. Was Schritte macht und Hände zum Streicheln hat, das sollte irgendwie „menschlich“ sein.
Auch scheint dieses Wesen über enorme Kräfte zu verfügen. Herrn Heim zufolge hat sich ja ein Bücherregal verschoben. Diese Bücherregale sind allerdings enorm schwer, sicher über eine Tonne. Und Tobias sprach von einem „heftigen Schlag“, als hätte sich jemand in der Klokabine nebenan gegen die Trennwand geworfen.
Okay, irgendwie menschenähnlich und stark. Was sonst noch? Mara meint, es habe „verbrannt“ gerochen, kurz bevor sie die Berührung an ihrem Kopf spürte. In einigen späteren Gesprächen fragte ich nach diesem Brandgeruch. Aber niemand konnte solch einen Geruch bestätigen. Wahrscheinlich eine tote Spur.
Plötzlich läuft es mir kalt den Rücken herunter, mein Nacken verkrampft sich. Scheiße! Es riecht verbrannt, hier bei mir im Zimmer. Ganz leicht nur aber eindeutig... verbrannt! Wie gelähmt sitze ich da, bestimmt zehn Sekunden. Nichts passiert. Dann reiße ich mich zusammen, stehe auf. Mir ist ein Gedanke gekommen. Ich ziehe eines der Dachfenster auf und die Angst fällt von mir ab, mein Körper entspannt sich.
Der Geruch kommt eindeutig von draußen, nicht aus meiner Wohnung, nicht aus dem Halbdunkel hinter mir. Irgendwo da draußen brennt es, es ist nicht nur bei mir. Leise lache ich über mich selbst. Wenn das so weiter geht, dann bilde ich mir demnächst noch irgendetwas ein, fange an, Gespenster zu sehen. Ich schließe das Fenster und gehe ins Bett, vielleicht kann ich noch ein paar Stunden schlafen. Verdammt, langsam fange ich an zu spinnen.
31. Zwei
Dienstag, 29. April 2008: Wieder bin ich gegen 19 Uhr auf S3. Wieder klappe ich meinen Laptop auf, verteile um mich herum meine Bücher und beginne mit der Arbeit an meiner Dissertation. Es läuft ordentlich, ich komme voran. Ich habe meine Ruhe und die allermeisten Bücher, die ich brauche, stehen in der Nähe. Schon gegen 20 Uhr bin ich alleine, niemand der stören könnte.
Auch nichts Übernatürliches, überhaupt nichts Ungewöhnliches, keine Schritte aus dem Nichts, keine Berührung unsichtbarer Hände, keine Gegenstände, die sich von selbst bewegen. Angenommen, das was mir erzählt wurde, stimmt. Angenommen, meine Gesprächspartner haben die Wahrheit erzählt. Und ich denke, das haben sie. Warum hätten sie mich alle anlügen sollen? Angenommen, hier unten ist irgendetwas Ungewöhnliches, irgendeine „Präsenz“, die auf Menschen reagiert. Warum reagiert sie nicht auf mich, wo ich doch alleine oder so gut wie alleine hier unten sitze? Vielleicht passe ich ja nicht ins Beuteschema, vielleicht fehlt der Überraschungseffekt. Schließlich erwarte ich ja, dass etwas passiert, in gewisser Weise hoffe ich sogar darauf. Vielleicht macht es diesem „Wesen“ einfach keinen Spaß, jemanden zu behelligen, der sowieso damit rechnet. Allerdings rechnete auch Herr Heim mit einem Ereignis, damals, als er beinahe zwischen den Regalen eingeschlossen wurde. Vielleicht war seine Angst größer, vielleicht machte das ihn attraktiv.
Die Stunden vergehen ereignislos. Bis zehn arbeite ich an meiner Dissertation, dann hole ich mir aus dem Kunstbereich einige Fotobände, die ich schon immer einmal durchblättern wollte: William Eggleston, Thomas Struth u.s.w. Als ich mit den Bänden auf dem Arm zu meinem Platz zurück komme, habe ich wieder den Eindruck, dass meine Sachen anders liegen. Aber wahrscheinlich ist das nur Einbildung. Ich müsste eine Kamera mitnehmen und den Tisch fotografieren, immer bevor ich weggehe. Dann könnte ich vergleichen. Vielleicht mache ich das morgen.
Bis elf schaue ich mir die Bildbände an, dann arbeite ich noch fast eine Stunde an meiner Doktorarbeit. Kurz vor zwölf verlässt mich die Konzentration. Ich speichere ab, klappe meinen Laptop zu und gehe zwischen den Regalen hindurch zu dem Raum mit der Luke im Boden. Ich will es noch einmal versuchen, Schraubenzieher und Taschenlampe habe ich dabei. Ich will sehen, ob da unten tatsächlich die vielen Bilder liegen, von denen Frau
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