S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
meinen Eltern bin ich in Gedanken die ganze Zeit bei S3. Auch gesundheitsgefährdend laute Musik kann mich nicht ablenken. Am Montag werde ich zurück sein, dann will ich einige Abende auf S3 verbringen. Am besten bleibe ich bis nach Mitternacht, bis eins oder zwei. Eigentlich könnte ich noch länger bleiben, die Bibliothek hat rund um die Uhr auf. Vielleicht passiert ja etwas.
30. Eins
Montag, 28. April 2008: Um 19 Uhr bin ich in der Bibliothek. Schon um diese Zeit ist wenig los auf S3. Ab und zu summt der Kopierer, nur selten hört man Schritte und gedämpftes Sprechen. Die ganze Tischreihe ist frei, hier saßen auch Jessica und Mara. Und hier wurde Herrn Heim erst eine Flasche hingeschoben und später eine weggeschlagen.
Ich breite mich aus, klappe meinen Laptop auf und verteile um mich herum die Bücher, die ich brauche. Meinen Kaffeebecher platziere ich fast einen Meter rechts von mir. Vor ein paar Wochen habe ich mir Kaffee auf die Tastatur gekippt und seitdem bin ich übervorsichtig. Wenn ich trinke, dann lehne ich mich weit nach rechts, nur um die Tasse nicht über den Computer zu halten. Der Nachteil dabei: Den Becher sehe ich nur noch aus dem Augenwinkel. Ich ertappe mich dabei, dass ich alle paar Sekunden hinüber schiele. Vielleicht bewegt sich ja der Becher. Ich warte, dass irgendetwas Seltsames passiert. Aber die Stunden vergehen ereignislos und schnell hat auch meine Aufmerksamkeit für den Becher nachgelassen. Ich arbeite etwas halbherzig an meiner Doktorarbeit bis mich gegen 21.30 der letzte Motivationsrest verlässt. Außerdem muss ich aufs Klo. Natürlich gehe ich dorthin, wo auch Tobias war, wo er das Klopfen gegen die Wand hörte. In der Kabine höre, sehe, fühle und rieche ich nichts Ungewöhnliches.
Als ich zu meinem Platz zurück komme, habe ich den Eindruck, dass meine Sachen anders liegen. Aber es ist noch alles da, die Bücher, die Stifte, die Schmierzettel. Vielleicht bilde ich mir das auch ein und die Dinge liegen wie vorher. Vielleicht hoffe ich so auf etwas Ungewöhnliches, dass mir mein Verstand schon irgendwelche Veränderungen vorgaukelt. Ich weiß es nicht.
Noch rund eine Stunde arbeite ich an meiner Diss, es läuft wieder besser. Aber kurz vor elf kann ich mich nicht mehr konzentrieren, habe den Eindruck, dummes Zeugs zu schreiben. Ich beschäftige mich noch ein bisschen mit Fachliteratur, suche mir Stellen heraus, die ich vielleicht zitieren kann. Aber kurz vor Zwölf reicht es mir, ich lese nicht einmal den Absatz zu Ende. Eigentlich möchte ich ja nach Hause, ein bisschen auf die Couch, vielleicht noch duschen. Mittlerweile ist es totenstill hier unten. Seit bestimmt dreißig Minuten habe ich keine Schritte mehr gehört, nur das gleichförmige Rauschen der Lüftung. Irgendwie ist es wieder kälter geworden, vielleicht fahren sie nachts die Heizung herunter. Ich wickle mich in meine Jacke und starre einige Minuten auf meinen schwarz gewordenen Bildschirm.
Jetzt ist es kurz nach Mitternacht und bis eins will ich bleiben. An meiner Dissertation zu arbeiten, das bringt nichts mehr. Man kann so etwas nicht einfach unkonzentriert herunter schreiben. Also was Anderes. Ich spiele „Transport Tycoon“, das ist so ein Computerspiel, bei dem man Eisenbahnstrecken baut und Züge zwischen verschiedenen Stationen hin und her fahren lässt. Ich habe das vor vielen Jahren als Jugendlicher gespielt, irgendwann in den Neunzigern. Vor kurzem habe ich dann entdeckt, dass man es gratis runterladen kann und jetzt baue ich eben ab und zu Bahnstrecken.
Pünktlich um eins schalte ich den Computer aus, packe meine Sachen zusammen und mache mich auf den Heimweg. Es ist nichts Merkwürdiges passiert. Vielleicht war es Einbildung, dass meine Sachen anders lagen, als ich vom Klo kam.
Auf dem Weg zum Ausgang begegne ich nicht einem einzigen Menschen. Es ist wirklich als wäre man aus der Welt. Alle anderen Menschen könnten plötzlich vom Erdboden verschwinden, man würde still hier unten sitzen und nichts bemerken. Dann würde man durch den menschenleeren Eingangsbereich laufen, die Uni verlassen, nach Hause fahren und sich darüber wundern, dass so wenig Verkehr ist. Aber gut, es ist ja schon nach zwölf. Erst am nächsten Morgen würde einem aufgehen, dass etwas nicht stimmt. Das wäre ein guter Anfang für einen Film.
Gegen drei wache ich auf, nicht ängstlich oder erschrocken, ich wache einfach nur auf. Ich trinke ein Glas Wasser, ziehe meinen alten Bademantel an und
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