S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
Gefühl, das ich immer habe, wenn ich gerade aufgewacht bin. Um mich herum ist es still, ich brauche einige Sekunden um zu begreifen, dass ich in der Bibliothek bin. Meine Augen müssen sich erst wieder an das Licht gewöhnen.
Ich fühle mich benommen, schüttle den Kopf und spanne meine Muskeln. Dann taste ich nach meinem Handy, will sehen, wie spät es ist. Nur zufällig schaue ich nach rechts. In einiger Entfernung sitzt jemand, etwa sechs Meter von mir. In dem Moment finde ich mein Telefon. Es ist zehn nach zwei, ich habe über zwei Stunden geschlafen. Ich stecke das Telefon weg und erst jetzt wird mir so richtig bewusst, dass ich nicht alleine bin. Ich sehe wieder nach rechts. Es ist ein Mann, der da sitzt. Er hat die Arme auf dem Tisch verschränkt. So wie ich gerade. Aber sein Oberkörper ist aufrecht, es scheint, als schaue er die Wand an. Er bewegt sich nicht. Sein Tisch ist leer.
Jetzt bemerke ich, dass der Mann völlig grau ist. Er trägt graue Schuhe, eine graue Hose, ein graues Hemd, sogar sein Gesicht und seine Haare sind grau. Ein komplett grauer Mann. Was für ein Grau, das kann ich nicht beschreiben. Ich kann nicht einmal sagen, ob es ein dunkles oder helles Grau ist. Vielleicht schlafe ich ja noch, vielleicht träume ich das alles. Aber ich höre doch das Rauschen der Lüftung und fühle den Tisch, auf den ich mich stützte.
Plötzlich wird mir kalt, ich zittere, mir ist als würde ich in Eiswasser getaucht. Immer noch starre ich den Mann an, der immer noch völlig ruhig dasitzt. Mir fällt schlagartig ein, was Herr Heim erzählt hat. Hoffentlich dreht der Mann nicht den Kopf zu mir, hoffentlich sieht er mich nicht an. Was kommt jetzt? Ich schaue wieder nach vorne, an die Wand, hole tief Luft und bereite mich darauf vor, wieder nach rechts zu sehen. Dann drehe ich ruckartig den Kopf, zwinge meine Augen in seine Richtung. Aber der Platz ist leer, niemand zu sehen. Weg als wäre er nie da gewesen. Ein Schauer läuft mir durch den Körper. Niemand kann so schnell aufstehen.
Jetzt will ich raus hier, raus aus der Bibliothek, weg von S3. Es reicht. Ich greife nach den Büchern, schaffe es nicht, sie in meine zu enge Jackentasche zu stecken, lege sie zurück auf den Tisch. Ich stehe auf und während ich mich umdrehe, überfällt mich noch in der Bewegung die Angst, der graue Mann könne grinsend hinter mir stehen. Aber da ist niemand. Plötzlich wird mir schwarz vor Augen, der verdammte Kreislauf, niedriger Blutdruck, ich kenne das. Das hat mein Vater auch, liegt in der Familie. Ich muss mich auf dem Tisch aufstützen, einfach warten bis genug Blut im Hirn ist. Gleich wird es wieder gehen. Ich schüttle den Kopf und atme durch, sehe wieder klar. Jetzt weg hier, nach draußen, nicht zu schnell bewegen. Niemand in der Nähe, niemand hinter mir. Mehrmals drehe ich mich im Gehen um.
Ich verlasse S3, öffne die Glastür, dann an den Toiletten vorbei. Verdammte Scheiße, ich bin immer noch nicht ganz klar. Es kommt mir vor, als wäre der untere Teil meines Körpers mit Blei gefüllt, jeder Schritt eine Anstrengung. Hier hörte Tobias das Klopfen. Und links von mir stehen die Regale, hier wurde dieser Flaschensammler fast eingeschlossen. Warum gehe ich überhaupt diesen Weg? Warum hier entlang? Ich hätte einfach die Treppe auf S3 nehmen können, wäre dann schneller draußen. Aber zurück will ich auch nicht.
Und immer noch diese verdammte Benommenheit. Ich schüttle den Kopf, versuche klar zu werden. Irgendwie schaffen es meine Augen nicht, die richtige Entfernung einzustellen, immer wieder verschwimmt alles vor mir. Und irgendwie komme ich nicht voran, etwas bremst mich. Es ist mir, als würden sich die vielen braunen Borsten dieses ekelhaft alten Teppichs mir entgegen stemmen, als würde mir der Untergrund Widerstand leisten. Eigentlich müsste ich doch längst bei der nächsten Tür sein. Es klingt verrückt aber ich habe einen gewaltigen Überdruss, einen regelrechten Ekel vor diesem braunen, dreckigen, sumpfigen Teppich, der mich am Fortkommen hindert.
Am Ende des Ganges überfällt mich dann richtig beschissene Angst, ich fühle mich in der Falle. Meine Beine werden weich, vor meinen Augen tobt graues Gestöber, jeder Herzschlag verpasst meinem Hirn einen Stich. Ich stütze mich an der Wand rechts von mir ab, versuche durchzuatmen. Noch vier Meter bis zur Tür, nur raus aus diesem Gang. Ich stoße mich ab, falle nach vorne aber meine Beine halten mich aus. Wieso hört das nicht auf? Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher