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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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Evans Englishs altem Klassenzimmer. Sein alter, eisig kalter See schmiegte sich in einen Hohlraum, den Eis und Wasser vor Tausenden von Jahren geformt hatten, bevor die Menschen kamen und Bergwerke gruben. An seinem Ufer ragten wachsame Bäume auf, und darunter lag tief und schwarz das Wasser, lauschend und sehnsüchtig.
    Der See schien außerhalb der Zeit zu liegen. Im Gegensatz zu allem anderen veränderte er sich nicht, bis auf die Sitzbank und den Abfalleimer, die gelegentlich erneuert wurden, und die Jahreszeiten, die Baumkronen und Wasser in ihre jeweiligen Farben tauchten. Manchmal schossen Vögel aus ihren Verstecken, und ihr Gezwitscher hallte von den umliegenden Felsen wider. Dieser Ort war wunderschön und melancholisch zugleich, und in der Vergangenheit hatte ich immer wieder seine Stille gesucht.
    Jedes Mal, wenn ich durch die Bäume blickte, hatte ich das Gefühl, etwas Elementares und Überirdisches um Sekunden verpasst zu haben. Es herrschte eine Atmosphäre des gerade Geschehenen, der um ein Haar miterlebten Handlung. Bei jedem Blick über die Schulter erwartete ich, bärtige Gesichter aus grauer Vorzeit zu erblicken, die mich grimmig anstarrten, und daneben Familien mit Schiebermützen auf dem Kopf und schwingenden Petticoats. Dieser See hatte unsere gesamte Geschichte gesehen, noch bevor die Gemeinde überhaupt gegründet worden war, unberührt von Mühsal und Gelächter.
    Wenn er reden könnte, würde er Geschichten erzählen von düsterer, harter körperlicher Arbeit, von durch die Plackerei zerstörten Wirbelsäulen, von zerstörten Lungen, zerstörten Versprechungen, von Lebensmitteln, die man im Laden bis zum Zahltag anschreiben lassen konnte, weil man schließlich zusammenhalten musste, von gestohlenen Samstagsküssen nach der Kinovorstellung, von Chorgesängen, von Waschzyklen, die vierundzwanzig Stunden dauerten, von Klein-Moskau, vom ersten kostenlosen Grundschulwesen Großbritanniens, von Streiks und Protestmärschen, Drogen und Oralverkehr, der Einebnung von Kohlehalden, von Schuleschwänzen und häuslicher Gewalt. In beliebiger Reihenfolge.
    An diesem Ort hatte ich mich selbst erschaffen, und hierher, zu meinen Anfängen, ging ich zurück, wenn ich Antworten suchte. Hier würden Beth und Lizzy gemeinsam eine Entscheidung treffen.
    Als ich mich an diesem dunklen Dezembertag durch Porth und dann immer weiter hinaufschlängelte, ächzte das Tal unter der Last seiner winterlichen Schwermut. Die Häuser und Hügel wogten im Wind wie schmutzige Bettlaken, vollgesogen mit dämmrigem Grau, an den Rändern nur ungenügend mit Splittern aus Stein und braunem und schwarzem Holz befestigt. Stur hielten die struppigen Kiefern an ihrem satten Wintergrün fest.
    Selbst das bunte Funkeln der Weihnachtsbeleuchtung konnte nicht über die triste Atmosphäre hinwegtäuschen. Einige Häuser nahmen dennoch den Kampf auf, mit Hunderten von Glühbirnen, Weihnachtsmännern auf Leitern, Schneemännern in Heißluftballons und riesigen, im Vorgarten grasenden Rentieren.
    Es war zwar erst kurz nach drei, als ich an den beschlagenen Fensterscheiben der Schule vorbei zum See hinunterging, aber es fühlte sich an, als würde die Nacht schon entlang der Berggipfel lauern und nur darauf warten, ins Tal zu drängen.
    Am Ufer hatte sich Eis gebildet, und zwei Enten und ein Erpel dümpelten träge bei den Lampenputzern am hinteren Ende des Sees herum. Ein Mann mittleren Alters mit tief ins Gesicht gezogener roter Baseballkappe führte einen Golden Retriever spazieren. »How be?«, fragte er nickend, die hier übliche Begrüßung.
    Ich setzte mich auf eine halb zerfallene Bank und mied das zersplitterte Holz an der morschen oder mutwillig kaputt getretenen Stelle. Zum Schutz vor der klammen Kälte zog ich die Jacke unter mich.
    Innerhalb von Minuten war meine Lunge kalt, und mein Verstand war leer – wie ich es mir erhofft hatte.
    Hier würde ich ohne die Fallstricke meiner kreisenden Gedanken, ohne den beharrlichen Bewusstseinsstrom meiner inneren Stimme eine Antwort finden und eine Entscheidung treffen. Irgendwo ganz hinten, jenseits von allem, dort, wo es wirklich darauf ankam, empfing ich ein älteres, dunkleres, reineres Signal.
    Eine Weile verliere ich mich darin. Als ich wieder an die Oberfläche komme, ist es fast dunkel.
    Dann passiert etwas Unerwartetes. Ich sehe Sal.
    Ja, es ist Sal. Mit einem ungefähr sechsjährigen Mädchen. Und einem Kleinkind. Und einem Baby.
    Ich weiß sofort, dass sie es ist, ohne jeden

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