Saat der Lüge
Sahnecreme, die dir immer so gut geschmeckt haben. Und danach schauen wir uns einen blödsinnigen Film im Kino an. Irgendwas wird schon laufen. Das haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht.«
Genau das taten wir. Cora wirkte weiter unendlich erleichtert und nahm auf der Straße lächelnd meine Hand und trällerte Weihnachtslieder, während sie ihren Cocktail schlürfte. So habe ich sie in Erinnerung: wie sie den Kopf zurückwirft und unmelodisch Stop the Cavalry von Jona Lewie mitjault. Ihre Augen glänzten immer noch ein wenig zu sehr, aber auf dem Weg zum neuen Multiplex-Kino lachten und kicherten wir wie Schulmädchen.
In der Dunkelheit des Kinosaals, wo sich das Flackern der Leinwand in ihren beschwipsten, weinseligen, lachenden Augen spiegelte, war ich mir ihrer Nähe schmerzhaft bewusst. Unbeholfen tastete ihre Hand nach meiner, legte sich auf mein Handgelenk und drückte es kurz, als Zeichen ihrer Dankbarkeit und Zuneigung.
Dann fuhr ich sie nach Hause, wo wir noch ein paar Geschenke einpackten. In einem See aus glänzenden Papierschnipseln und abgeschnittenen Bändern knieten wir auf dem Boden und verschönerten die Päckchen mit den Schleifchen und Zierbändern, die Cora gekauft hatte. Der letzte Feinschliff.
Während wir über vergangene Weihnachtsfeste und Geschenke plauderten, füllte ich ihr immer wieder das Glas.
»Jetzt wird alles gut, Lizzy, jetzt wird alles wieder gut«, lallte sie. »Alles wird aufgedeckt, und dann wissen wir endlich über alles Bescheid.«
Um sechs winkte sie mir mit glasig schimmernden Augen hinterher, und der Abend war bereits dunkler, als ich ihn je zuvor gesehen hatte. Ich fuhr nach Hause, um den richtigen Zeitpunkt abzuwarten.
Unterwegs legte ich einen Boxenstopp bei dem winzigen Tesco Metro ein und war gegen halb zehn wieder in Coras Nachbarschaft. Ich parkte in einer Seitenstraße. Auf dem Weg zur Tür verdeckten Wollmütze und Schal mein Gesicht. Das nasse, metallische Knirschen des Schneematsches, der in der Nachtkälte langsam zu Eis gefror, war das einzige wahrnehmbare Geräusch.
Bis auf das Küchenlicht im hinteren Teil des Hauses, das durch den Flur nach vorne leuchtete, waren alle Lichter gelöscht. Auf der Straße war niemand zu sehen. Durch die Fenster der Nachbarn sah ich hell erleuchtete Christbäume und Neonschriftzüge. Als ich wie erwartet keine Antwort auf mein leises Klopfen erhielt, schloss ich mir selbst die Tür auf. Mein Herz war erstarrt wie die schlummernde Straße und pochte kaum noch, auch mein Atem war kaum noch zu sehen. Wenn Cora noch wach war, würde mir die Einkaufstüte, die ich hinter der Tür im Flur hatte stehen lassen, als Vorwand dienen.
Als alles still blieb, ging ich, meine schwere Schultertasche fest umklammert, die Treppe hoch und rief leise in jedes Zimmer hinein. Zuletzt blieb ich im dunklen Flur vor dem Badezimmer stehen und öffnete die Tür.
Ich sehe das Blut heute noch vor mir, in dem Traum, der mich immer wieder heimsucht.
Es sammelt sich auf dem Boden, fließt mir über Hände und Kleidung, die Treppe hinunter und über den glatten Boden im Flur, es ergießt sich übers Treppengeländer, besprenkelt die Wände, durchtränkt den Teppich, befeuchtet die Luft.
Obwohl Cora tot ist, versuche ich verzweifelt davonzukrabbeln, um ihrem leeren und dennoch anklagenden Blick zu entgehen. Je mehr ich mich in den zweiten Stock hinaufzuschleppen bemühe, desto mehr rutsche ich und verliere den Halt und desto schneller rutschen meine Hände und Schuhe Stufe für Stufe wieder herunter.
In Wahrheit war da gar nicht so viel Blut. Das meiste war in der Badewanne, und selbst dort war schon fast alles durch den Abfluss verschwunden.
Sie war mir zuvorgekommen und hatte sich die Pulsadern aufgeschlitzt.
Als ich die Badezimmertür öffnete und sie vor mir sah, schwebte für eine Sekunde, die so langsam verstrich wie ein Sonntag im Winter, der Gedanke in der Luft, mich einfach davonzumachen. Ich konnte rückwärts das Badezimmer verlassen, still und leise den Flur entlanggehen, zur Eingangstür hinaustreten und im Rückwärtsgang zurück durch die gepflegte Straße zu meinem Auto gehen, um in den späten Abend davonzufahren. Ein simpler Zeitreisetrick.
Der Gedanke schwebte sanft auf die roten viktorianischen Ziegeldächer zu, wie eine Schneeflocke, die alle Zeit der Welt hat, aber zerfällt, wenn man sie berührt. Das hier war genau das, was ich gewollt hatte. Ich musste meinen Plan gar nicht mehr durchführen. Ich konnte einfach
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