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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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meiner und drückt sie.
    »Seltsam, aber irgendwie glaube ich, dass Sie beide Freundinnen geworden wären, wenn Sie sich in der Stadt begegnet wären. Jenny hätte auch gerne ihr Geld mit Schreiben verdient. Sie konnte wirklich gut mit Wörtern umgehen. Und sie liebte Bücher, genau wie Sie. Komisch, Sie sind überhaupt nicht so, wie ich mir eine Journalistin vorgestellt hätte. Ich will nicht sagen, dass Sie wie jemand aus den Tälern klingen, aber die Art, wie Sie vorhin gesprochen haben … Sie kommen eigentlich auch nicht aus der Stadt, oder?«
    Ich scheine vollkommen transparent zu sein. Auch ohne Brille hat sie einen Blick auf mich erhascht, hat mich durchschaut. Aber sie hat nicht alles gesehen. Ich nicke.
    »Sehen Sie, ich hatte recht! Menschen, die nett und bodenständig sind, erkennt man einfach. Schauen Sie sich in aller Ruhe um. Möchten Sie noch einen Tee?«
    Eine Stunde später entlässt sie mich mit einem Stück Obstkuchen in einer Papierserviette, einem Foto der vierjährigen Jenny auf einem Schaukelpferd und einem traurigen Gedicht, das Jenny geschrieben hat, als sie zwölf war. Sie winkt von der Haustür, bis ich außer Sichtweite bin.
    In meiner Tasche brennt das Buch, das sie mir geschenkt hat, ein dunkles Loch in den Nachmittag.
    Auf einer Bergkuppe zwischen zwei Tälern lenkte ich das Redaktionsauto auf den Grünstreifen, hielt an und zog das Buch heraus. Ich nahm die Postkarte, riss sie in Fetzen und warf sie in den tobenden Wind hinaus. Ich wollte den Beweis zerstören, dass Mike und Jenny sich je begegnet waren, das Bild von Jenny auslöschen, wie sie einen Stift nahm und ehrerbietig Mikes Namen unter die Zeilen schrieb, die sie für seine eigenen hielt – die Zeilen, die vielleicht schuld daran waren, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
    War es wirklich so wichtig, dass Mike ihr das Buch gegeben hatte? Ja, es war wichtig.
    Der Gedanke, was das Buch ihm vielleicht bedeutet hatte, was sie ihm vielleicht bedeutet hatte, ließ mir keine Ruhe. Der Gedanke, dass er sie aufgeklappt hatte wie ein Buch, sie Seite für Seite erobert hatte, mithilfe eines bewährten Rezepts, eines vertrauten Ablaufs. Der neue Romananfang, den sie für ihn darstellte, war Teil einer bereits erzählten Geschichte, die nun auf andere Weise neu erzählt wurde, so dass wir – so dass er – nicht wussten, wie sie enden würde. Vielleicht hatte diese Geschichte in Wrexham begonnen, um dann in Cardiff fortgeschrieben zu werden, Nacht für Nacht, im Dunkeln, zwischen den Zeilen, an einem Ort, zu dem Cora und ich keinen Zugang hatten.
    Ich hatte eine Ahnung von der Sehnsucht in dieser Geschichte – und von der Dunkelheit und Stille und Ewigkeit. Die Verheißung zweier Welten in einer einzigen. In einem Wort: Jenny.
    Ich saß lange dort im Auto. Aus der Ferne leuchteten die grellbunt gestrichenen Häuserreihen zu mir herauf, und die frostweißen Bäume erstreckten sich bis zu den Bergkuppen, unter deren winterlich bestäubter Oberfläche Staub und Ruß und Armut und vergessene Versprechen lauerten. In der tief stehenden Sonne glitzerten die Zweige und Büsche, schön wie auf einer Postkarte, lebendig und besinnlich wie die Choräle, die einst sonntagmorgens über die Landschaft geschallt haben mussten.
    Trotz all der Schönheit spürte ich nichts außer der Unvermeidbarkeit des nahenden Winters. Durch meine Tränen hindurch glaubte ich einen schwachen Geruch nach Verwesung wahrzunehmen. Dieses Mal weinte ich wirklich um Jenny und um ein Mädchen, das vor langer Zeit ihre Hoffnungen und Träume geteilt hatte. Und ihre Liebe.

Methodenlehre
    A uf der Fahrt zurück in die Redaktion dachte ich an die Ohrfeige in Coras Küche, an den Gedichtband und die Postkarte, an das Tagebuch, das der Polizei in die Hände gefallen war, an den mit M. unterschriebenen Liebesbrief, an den Rest meines Lebens und die Frage, ob es Mike darin noch geben würde oder nicht. Und entwarf einen Plan.
    Er war nicht besonders ausgeklügelt. Andererseits wusste ich aus Erfahrung (wenn auch nur als beobachtende Reporterin): Je komplizierter man ein Verbrechen gestaltet, desto mehr kann schiefgehen – und desto wahrscheinlicher ist es, dass man auf Seite eins bis drei der Zeitung landet.
    Es war nicht direkt so, dass ich mich hinsetzte und schriftlich das Vorhaben ausarbeitete, meine beste Freundin zu ermorden. Es war eher so, dass ich in jedem freien Moment mit dem Gedanken spielte, ihn hin und her drehte wie einen Zauberwürfel, den man immer wieder

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