Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
Vom Netzwerk:
ausdruckslosem Gesicht an, weder vorwurfsvoll noch zustimmend. Dieser Gesichtsausdruck kommt bei meiner Arbeit regelmäßig zum Einsatz. Er ermuntert die Leute zum Sprechen, weil sie wissen, dass genau das von ihnen erwartet wird. Ihr Bedürfnis, die Kluft zwischen ihnen und mir zu überbrücken, das Schweigen zu beenden, das sich zwischen uns spannt, entspricht der menschlichen Natur. Der Mensch füllt die Leerstellen, die Zwischenräume, die Lücken, füllt sie mit Wörtern, selbst wenn er dabei etwas ausspricht, das eigentlich geheim bleiben sollte.
    Nach ungefähr sechs Sekunden seufzte er ein zweites Mal. »Mike kannte sie tatsächlich, aber nur oberflächlich, nichts Ernstes oder so. Er sagt, er hätte sie bei irgendeinem PR -Event in Chester kennengelernt. Sie hat ihm wohl ein paar Aufträge vermittelt, nichts weiter. Ich glaube, sie hat ihn ein- oder zweimal im Büro besucht, weil sie wohl ein Faible für ihn hatte. Anscheinend war sie ein bisschen zu aufdringlich und ließ sich nicht abwimmeln. Schon möglich, dass auch Coras und Mikes Umzug zurück nach Cardiff damit zu tun hatte. Um die Sache gleich im Keim zu ersticken, du weißt schon. Mike hat damals nicht viel darüber erzählt. Dann wurde sie vor kurzem auch hierher versetzt, in eine andere Abteilung. Mike, der Idiot, wollte ihre Gefühle nicht verletzen, indem er sie wie Luft behandelt. Er hat sie zwar nicht direkt eingeladen an diesem Abend, aber er hat ihr erzählt, dass wir im Charlie’s sein würden. Du weißt ja, wie er ist. Ich glaube, sie ist ein bisschen einsam hier. Cora sollte auf keinen Fall wissen, dass er verraten hatte, wo wir hingehen würden, und auch nicht, dass sie schon in Wrexham hinter ihm her gewesen war und jetzt plötzlich hier auftauchte. Sie hätte nur wieder schlechte Laune bekommen und alles Mögliche hineininterpretiert. Na ja, irgendwie verständlich, dass sie nicht erfreut gewesen wäre. Ich selbst habe auch erst von der Sache erfahren, als ihr auf dem Klo wart. Dabei hätte sie mir auch ganz gut gefallen. Wieder mal typisch, oder?«
    Er gab einen Laut der Resignation von sich, so als habe er sich mittlerweile an sein Pech gewöhnt, und griff nach dem Besteck, um weiterzuessen.
    Jetzt, wo Stevie es ausgesprochen hatte, tauchte plötzlich ein Bild vor meinem inneren Auge auf, eine verdrängte Erinnerung. Zwei Wochen vor der Nacht im Charlie’s hatte ich halb dösend im Costa Coffee in der Nähe des Bahnhofs gesessen, inmitten der fieberhaft vor sich hintippenden Internetnutzer im ersten Stock meinen Mocha mit Sahne umklammert und beobachtet, wie sich die Fußgänger und Autos auf der Kreuzung im Wechsel in Bewegung setzten. Während ich diesen perfekt choreographierten Straßentanz bewunderte, hatte ich jede bleierne Sehne und jeden bleiernen Muskel meines Körpers gezwungen, die Energie aufzubringen, in die Redaktion zurückzukehren und es durch den restlichen Tag zu schaffen.
    Als ich mir gerade eine Ausrede für die verspätete Rückkehr aus der Mittagspause zurechtlegte, bog ein schmuddeliger Doppeldeckerbus aus der St. Mary Street ein und hielt auf den Hauptbahnhof zu. Auf dem Oberdeck, Seite an Seite mit einigen Pärchen, die ziemlich vertraut miteinander wirkten und geflissentlich den üblichen kahlköpfigen Kauz im khakifarbenen Kapuzenanorak ignorierten, saß Mike mit einer Frau.
    Ich war mir sicher, dass es Mike war, auch wenn ich im Gegenlicht der gegenüberliegenden Busfenster eigentlich nur sein Profil und die Welle sah, die seine Haare im Nacken bildeten. Sein Gesicht war halb von mir abgewandt, aber ich hätte ihn überall erkannt.
    Was mich erschreckte, war die Tatsache, dass ihm eine junge Frau gegenübersaß, die sich zum Gang drehte und daher ebenfalls im Profil zu sehen war. Sie trug eine bunt gestreifte Wollmütze, unter der stachelig aussehende Haarsträhnen hervorlugten, und sie beugte sich zu ihm hinüber, als würde sie ihn gut kennen, als wäre er ihr sehr vertraut. Was unterhalb des Fensters lag, konnte ich nicht sehen, aber es erschien mir nur logisch, dass ihre Hand auf seinem Knie ruhte. Vielleicht mehr als nur eine Kollegin?
    Er hatte den Arm entlang des Busfensters ausgestreckt und trommelte mit den Fingern lautlos an den Fensterrahmen. Obwohl ich ihren Mund nicht sehen konnte, hatte ich den Eindruck, dass sie redete und er ihr zuhörte. Das Ganze dauerte vielleicht acht Sekunden, dann war die Ampel grün, und während mein Kopf einen Sekundenbruchteil langsamer herumfuhr als meine

Weitere Kostenlose Bücher