Saat der Lüge
schluckte.
Stevie bot mir ein improvisiertes Abendessen an, als ich nach meiner Zehn-bis-neunzehn-Uhr-Schicht bei ihm hereinschneite. Er machte Pasta mit Garnelen, Oliven und einer Art Pestosauce mit frisch gehobeltem Parmesan. Sogar Bruschetta, eine Flasche guten Weißwein und ein grün-weiß kariertes Leinentischtuch zauberte er hervor. Darauf versteht er sich, auf die liebevollen Details. Er fand so viel Vergnügen daran, dass ich eine Zeitlang sogar dachte, er sei schwul, bis mir aufging, dass er einfach nur aufmerksam war.
Früher hatte ich immer zu ihm gesagt, dass er eines Tages eine fantastische Ehefrau abgeben werde, und das war durchaus nett gemeint. Dann seufzte er verlegen und sagte: »Ja, bloß wann, Lizzy? Und für wen?« und interessierte sich plötzlich sehr für sein Besteck oder was er sonst gerade in der Hand hielt.
Als ich Stevie an diesem Abend beobachtete, während wir wie so viele Male zuvor sein vorzügliches Essen genossen und seinen guten Wein tranken und dabei lachten und redeten und Geschichten zum Besten gaben, nahm ich all die Dinge wahr, die meine Mutter an ihm bewundert hätte. Das jungenhafte Gesicht, das helle Haar, das so fein war wie das eines Babys, sein Lächeln, das selten war, dafür aber umso bemerkenswerter, die guten Umgangsformen. Das waren alles Dinge, die auch ich bewunderte. Er strahlte eine Galanterie und eine Sanftmut aus, die wie aus der Zeit gefallen wirkten, wie ein edwardianischer Herzog, den man erst in ein zwangloses Outfit aus Jeans und Fan-Trikot von Cardiff City gesteckt hatte und neuerdings in Jeans und Calvin-Klein-T-Shirt.
An ihm hätte auch ein Seidentuch mit Anstecknadel keinesfalls deplatziert gewirkt, und ich konnte ihn mir gut mit einem Gehstock in der einen und einer Ausgabe der Times in der anderen Hand vorstellen. Er las tatsächlich die Times , das Time Magazine und den Spectator . Zu Studentenzeiten war uns das exzentrisch bis extrem erschienen, aber jetzt wirkte es ziemlich beeindruckend. Und wenn ich betrunken oder einsam oder gelangweilt genug war, sah ich manchmal zu ihm hinüber und malte mir aus, wie es wohl wäre, ihn zu küssen, wie er sich anfühlen würde, wie er schmecken würde. Reine Neugier, vermutlich.
Ich liebte seine Wohnung mit den erwachsen wirkenden Möbeln, den teuren Männerspielzeugen und der eleganten, kompakten Stereoanlage. Alles war in glamourösem Schwarz gehalten und hatte einen matten, exklusiven Schimmer. Deshalb kam ich so gerne hierher: weil sich seine Wohnung gänzlich von meiner eigenen unterschied. Die nämlich war beengt, halbfertig, gemietet. Mit dem Finger fuhr ich an seinen Bücherregalen entlang und lächelte nachsichtig über die Titel – Philosophie für Anfänger, Das Superman-Prinzip, Die Russische Revolution, Die Odyssee. Und damit man ihn nicht für vollkommen unerträglich hielt, sämtliche Terry-Pratchett-Romane, die je erschienen waren, sowie eine Ausgabe von Die Männer von Bravo Two Zero.
Hier saß ich also, ließ mir die Pasta schmecken und trank mehr Wein, als mir guttat. Und nachdem auf diese Weise ein wenig Zeit verstrichen war, betonten wir beide, wie schrecklich das Abendessen bei Mike und Cora gewesen sei. Sobald er entspannt genug war, fing ich an, ihn nach Jenny auszufragen.
»Wer war die überhaupt?«, wollte ich wissen und schob mir noch eine Garnele in den Mund. Es war schon das zweite Mal, dass ich diese Frage an diesem Abend stellte. »Ich meine, wer geht denn einfach zu einer Gruppe von Leuten, die er kaum kennt, und fängt an, wie mit alten Freunden zu plaudern? Das ist doch irgendwie seltsam, oder? Meinst du, jemand hat sie auf uns angesetzt?«
»Kann schon sein«, antwortete Stevie und wich schon zum zweiten Mal aus, indem er einen Schluck Wein nahm und nach einer Olive stocherte. Er log.
»Ich habe gehört, was ihr neulich gesagt habt. Über die Geschichte, die ›beibehalten‹ werden muss. Dass ihr aber auch nie die Klappe halten könnt … Also: Was soll Cora nicht wissen?«
Stevie seufzte, als habe er genau diese Situation erwartet und beschlossen zu kapitulieren, solange er es noch aus freien Stücken tun konnte. Ruhig und bedächtig legte er Messer und Gabel beiseite. Man konnte Stevie nicht hinterrücks überfallen, sondern musste ihn mit einer gewissen Behutsamkeit behandeln.
»Können wir die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen, Lizzy? Du weißt doch, dass mich Mike gebeten hat, nichts zu sagen.« Ich schwieg und blickte ihn nur mit einstudiert
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