Sabihas Lied
verdammt. Und es ist mir egal.« Er küsste sie sanft auf den Mund. »Ich liebe dich, meine schöne Sabiha.«
Sie erlaubte ihm den Kuss, aber dann wich sie zurück. »Ihr habt elf Kinder, du und Angela. Ich habe keine.« Wieder musste sie eine Träne wegwischen. »Sei doch ein Mann.«
»Es bringt mich noch um«, sagte er leise, ruhig, als hätte er sie nicht gehört. »Ich kann nicht mehr schlafen.« Seine Stimme wurde noch leiser. Er packte sie am Arm, lieà nicht zu, dass sie sich von ihm löste. Sie sträubte sich nicht. »Nachts stehe ich auf und laufe durch die StraÃen unserer kleinen Stadt«, fuhr er fort. »Ich sehe zu den Wolken auf und zum Mond, ich spreche deinen Namen aus und frage dich, was du gerade machst, und ob du an mich denkst und auch keinen Schlaf findest und den Mond anschaust.« Erneut lachte er leise. »Du würdest lächeln und mich für verrückt halten, wenn du sehen könntest, wie ich vor dem Schaufenster des Metzgers stehe und mein Spiegelbild im Laternenlicht dabei beobachte, wie es deinen Namen ausspricht. Dann sehe ich einen anderen, der von mir Besitz ergriffen hat. Einen Mann, den ich vor langer Zeit mal kannte, der mir inzwischen aber fremd geworden ist. Ich bin verloren, Sabiha. Ich habe immerzu den Drang, deinen Namen auszusprechen. Sogar im Beisein von Angela und den Kindern möchte ich ihn aussprechen. Ich genieÃe den Schmerz, den er mir bereitet. Wie kann das sein? Ich würde zu gern wissen, was dein Name für mich bedeutet. Was er wirklich bedeutet. Sabiha? Ich spreche ihn mir immer wieder vor. Er ist mir ein Rätsel. Ich versuche, es zu lösen.« Er hielt inne. »Vergib mir, liebste Sabiha. Ich kann nicht anders. So bin ich nun mal geworden. Ich bin nicht mehr Bruno Fiorentino. Bald wird man sich in meiner kleinen Stadt erzählen, dass Bruno Fiorentino verrückt geworden ist, weil er nachts durch die StraÃen irrt.« Und wieder lachte er leise, als erheiterte ihn diese Vorstellung.
Sabiha streckte die Hand nach dem Türgriff aus, aber er hielt sie am Arm zurück.
»Sabiha! Ohne dich ist mein Leben nichts mehr wert«, sagte Bruno ganz ruhig. Er zog sie an sich. »Es ist mir egal, ob sie mich für verrückt halten oder nicht«, flüsterte er in ihr Haar. »Mach dir keine Sorgen. Sie bedeuten mir nichts, Sabiha.«
Sie hatte keine Willenskraft mehr. Sie war erschöpft. Sie legte den Kopf an seine Brust und gab einen Augenblick nach, nur einen Augenblick. Wie breit seine Brust war, wie fremd und vertraut sein Geruch, ganz anders als Johns. »Bruno«, sagte sie, aber dann wusste sie nicht weiter. Hatte sie ihn etwa um Verzeihung bitten wollen? Er würde sie ohnehin nicht verstehen.
Sie standen still und eng umschlungen im Dunkeln, während drauÃen das laute Markttreiben herrschte.
»Das ist noch nicht mal das Schlimmste«, sagte er, wieder in diesem ruhigen, vertraulichen Ton, als kennten sie sich schon aus Kindertagen, als erzählte er ihr wie früher seine kleinen Geheimnisse.
Sabiha wartete.
Aber er sprach nicht weiter.
Sie löste sich aus der Umarmung und tupfte sich die Augen mit ihrem Taschentuch ab. »Ich werde niemals einen anderen lieben als meinen John.«
»Das Schlimmste ist, dass ich mich Angela nicht mehr nähern kann. Ich denke an dich und kann meine Frau nicht mehr anrühren«, sagte Bruno und schien es selbst nicht zu fassen. »Das verschlägt Angela die Sprache. Ich wollte ihr von uns beiden erzählen. Ich wollte ihr alles erzählen. Ich hatte mir schon jedes Wort zurechtgelegt, aber dann habe ich ihren Blick gesehen und brachte es nicht über mich. Sie weià nicht, was sie von meinem Benehmen halten soll. Wie kann ich es ihr erklären? Wenn wir alle zusammen beim Abendessen sitzen, schaut mich mein Ãltester an, als wäre ich ein Fremder und nicht sein geliebter Vater. Und dann frage ich mich, ob mein lieber Sohn seinen Vater inzwischen hassen gelernt hat, und das macht mir entsetzliche Angst, Sabiha. Er sieht, wie unglücklich seine Mutter ist, das beschämt und verwirrt ihn. Und ich weià nicht, ob das, was ich bei meinem Sohn und meiner Frau sehe, wirklich ihre Gefühle sind oder ob sich meine Schuldgefühle in ihren Augen spiegeln. Ich weià es einfach nicht. Ich kann nicht mehr unterscheiden, was wirklich ist und was meine Ãngste mir vorgaukeln.« Er atmete tief aus.
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