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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Miller
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Trug, wenn meine kleinen Kinder abends auf mir herumklettern und meine Frau sich nicht mehr traut, mich anzulächeln.«
    Â»Lass mich bitte gehen!«, flehte Sabiha. Allmählich geriet sie in Panik.
    Â»Sicher«, sagte er. »Tut mir leid.« Er öffnete für sie die Wagentüren. Auf einmal war sie wieder Madame Patterner. Die Türen sprangen quietschend auf und ließen grelles Marktlicht eindringen.
    Bruno trat zur Seite und reichte Sabiha die Hand, um ihr behilflich zu sein.
    Erst zögerte sie, einen Moment lang geblendet, dann dankte sie ihm wie einem Fremden, der ihr bei einer zufälligen Alltagsbegegnung höflich die Tür aufgehalten hatte. Sie ergriff seine Hand und stieg aus.
    Er ließ sie los. »Komm doch nächsten Freitag wieder«, sagte er. »Zum Reden. Ich habe sonst niemanden, mit dem ich reden könnte.«
    Â»Ich kann nicht.« Sabiha ging und spürte, wie er ihr nachblickte. Als sie um die Ecke des letzten Obststandes bog, sah sie sich um. Er stand vor den offenen Türen seines Lieferwagens. Was meinte er mit Ich sehe es kommen ? Es machte ihr Angst. Gäbe es doch nur einen Ort, an dem sie sich vor allen verstecken könnte, bis es vorbei wäre. Bruno kam ihr vor wie ein Verurteilter auf dem Schafott, der sich mit seinem Los abgefunden hat, dem Henker zulächelt und sagt: Das war es mir wert.

A m Dienstag um kurz nach zwölf kam Bruno wie üblich durch die Hintertür herein und setzte die Kiste Tomaten ab, die Sabiha und John bestellt hatten. Grußlos ging er an ihnen vorbei in den Speiseraum. Sabiha und John spähten durch den Perlenvorhang: Bruno setzte sich an seinen Stammplatz und wartete auf sein Essen. Sie musste an einen kleinen Jungen denken, der sich ganz brav verhält. Keinen Ärger machen. Schön lieb sein. Unsichtbar bleiben. So saß er da, stumm und reglos, den Blick auf seine Hände gerichtet, die er im Schoß gefaltet hatte, ohne auf Nejib und dessen Gefährten zu achten. Der gute Bruno.
    John brachte ihm das Essen, und Bruno sagte: »Danke, John.«
    John erwiderte: »Gern geschehen, Bruno. Guten Appetit.«
    Sobald er fertig gegessen hatte, verschwand er wieder, ohne wie sonst noch ein bisschen zu verweilen.
    In der Küche sagte John zu Sabiha: »Was immer sein Problem war, er scheint damit fertigzuwerden.«
    Sie war sich da nicht so sicher. Wo versteckte sich der andere Bruno? Der verlorene Mann?
    Am folgenden Freitag ging sie zwar zum Markt, aber sie mied Brunos Bereich. Am Dienstag darauf kam er wieder ins Café. Als braver kleiner Junge. Ohne ein Wort zu sagen. Sabiha hätte ihn gern gefragt, was er sich von diesem Benehmen erhoffte. Wie lange würde er das wohl durchhalten? Es konnte nicht von Dauer sein, es war zu unecht. Wäre er doch nur der echte Mann gewesen, für den sie ihn gehalten hatte, ein ganz gewöhnlicher Mann ohne Anstand und Moral, und nicht so ein Unschuldslamm. Wartete er etwa auf ein Zeichen von ihr? Wartete er darauf, dass sie ihm sagte, was zu tun war? Oder wartete er auf ein Zeichen vom Leben, seinem Leben? Seinem Gott? Wartete er auf Eingebung? Sie hatte eine schreckliche Ahnung, dass er seine lächerliche Pose plötzlich aufgeben und in Gewalt ausbrechen würde. Seine Schönheit führte dazu, dass sie ihn nun grotesk fand. Ein Gott, der sich als braver kleiner Junge ausgab. Er hatte jede Würde verloren. Wenn sie daran dachte, wie ihr letztes Treffen mit Bruno verlaufen war, schämte sie sich abgrundtief. Ihr Kind, sollte es denn jemals das Licht der Welt erblicken, konnte auf keinen Fall etwas mit dieser Freitagsepisode in Brunos Lieferwagen zu tun haben.
    *
    Sabiha war gerade beim Einkaufen, als John ans Telefon ging. Es war ihre Schwester Zahira. Sie rief von der Telefonzelle vor dem Postamt in El Djem an, wie sie ihm erklärte. John konnte sie kaum verstehen. Die Leitung war nicht besonders gut, und sie sprach so leise und mit einem so starken Akzent, dass er sie mehrmals bitten musste, das Gesagte zu wiederholen.
    Â»Sprich bitte lauter!« Er hatte das Gefühl, einem Kind Anweisungen zu geben.
    Zahira sprach aber nicht lauter. Sie wiederholte ihre Botschaft einfach im gleichen Flüsterton. Schließlich bat er sie, später nochmal anzurufen, wenn Sabiha zu Hause war.
    Als Sabiha nach Hause kam, begrüßte John sie mit den Worten: »Deine Schwester hat angerufen. Ich konnte leider gar nichts verstehen.«
    Sabiha

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