Sabihas Lied
lebte. Die Arabischstunden endeten regelmäÃig mit Gelächter. Als er daran dachte, musste er lächeln.
Sabiha wandte ihm halb den Rücken zu, sie beugte sich leicht vor und sprach so konzentriert ins Telefon, als versuchte sie, etwas zu sehen . Beim Zuhören bewegte sie unmerklich den Kopf. Wenn sie sprach, war ihre Stimme ruhig und gelassen.
John hatte vergessen, wie man Ich liebe dich auf Arabisch sagt. Das war der erste Satz, den sie ihm beigebracht hatte. Damals lag er auf ihr, in ihrem alten Schlafzimmer unter der Dachschräge, sah ihr in die Augen und wiederholte unablässig die Wörter, während sie zärtlich seine Aussprache korrigierte. »Das wirst du nie hinbekommen«, eröffnete sie ihm, atemlos, weil sein Gewicht auf ihrer Brust lastete. »Du formst die Laute, aber ohne ihre Bedeutung zu erfassen. Du sprichst Arabisch, als ob es Australisch wäre.« Dann lachten sie und liebten sich anschlieÃend. Sabiha hatte auf Anhieb gelernt, wie man Ich liebe dich auf Englisch sagt. Bei ihr klang es wundervoll. John war immer entzückt, wenn er ihre gehauchten Laute im Englischen hörte.
Als sie den Hörer eingehängt hatte, lieà Sabiha hinterm Tresen ein Glas mit Wasser volllaufen und setzte sich dann ihm gegenüber an den Tisch. Bei jedem Schluck, den sie trank, sah sie ihn über den Glasrand hinweg an. Nachdem sie das Glas ausgetrunken hatte, sagte sie: »Zahira hat mir erzählt, dass mein Vater auf mich wartet. Damit er sterben kann. Er ist ungeduldig. Er ist bereit.«
John legte seine Hand auf ihre Hand. »Es tut mir leid, Liebling.«
»WeiÃt du, was er zu Zahira gesagt hat? Wenn Sabiha herkommt, wird alles gut .« Die Stimme versagte ihr. Wenn Sabiha herkommt, wird alles gut. Sie war so lange fort gewesen. Ihre Heimatverbundenheit hatte einen Riss davongetragen, der nicht mehr zu kitten war. Wenn ihr Vater starb, wäre auch die letzte Verbindung zu ihrer Kindheit gekappt. Vielleicht war es sogar schon längst geschehen und sie stellte es jetzt erst fest. Sie dachte an die Neuigkeit, die sie ihrem Vater mitteilen wollte. An das neue Leben, das in ihrem Leib heranwuchs. An das, was sie ihrem Mann noch nicht zu erzählen wagte. Seit Jahren wollte sie ihrem Vater diese Neuigkeit mitteilen, doch nun würde sie mit Trauer einhergehen. Ihr unbeschwerter Traum gehörte unwiderruflich der Vergangenheit an.
John stand auf und stellte sich hinter Sabiha. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und massierte ihr mit der anderen behutsam die verspannten Nackenmuskeln. Seine Berührung traf sie bis ins Mark. Sie schloss die Augen und lieà es geschehen.
J ohn brachte Sabiha den Morgenkaffee und einen süÃen Keks. Dann setzte er sich auf den Bettrand und nippte selbst an seinem heiÃen Milchkaffee. Im Schlafzimmer war es kalt, und für eine Unterhaltung war es zu früh. Wie Geschwister saÃen sie da, wärmten sich die Hände an ihren dampfenden Schalen und starrten gedankenverloren vor sich hin. Sie spürte, bald wäre es so weit. In der Stille wurde die Ahnung zur Gewissheit. Sie wartete darauf, dass das hier zu Ende ging.
Er stand auf, sammelte die leeren Schalen ein und wischte sich die Krümel vom Hemd. »Es ist doch nur für eine Woche«, sagte er. »Im Handumdrehen bist du wieder da.« Ihren Hinflug nach Tunis hatte er für Montag gebucht. Das Datum des Rückflugs hatte er vorsichtshalber offen gelassen.
Nachdem John zum Markt aufgebrochen war, stand Sabiha auf, zog sich an und nahm ihr Tagwerk in Angriff. Freitags bereitete sie immer das Gebäck fürs Wochenende zu. In der Küche schmiegte sich Andrés Katze an ihr Bein. Ihr Fell war so kalt, dass Sabiha das Bein wegzog, was die Katze mit unzufriedenem Miauen kommentierte. Danach goss sie Smen in die Pfanne und stellte die Gasflamme klein.
Heute wäre ihre Periode fällig gewesen. Aber sie blieb aus. Sabihas Brüste waren immer noch empfindlich und prall von den verborgenen Vorgängen in ihrem Körper. An den Armen hatte sie eine Gänsehaut. Sie drehte sich um und lieà für die Katze ein Stück Keks auf den Boden fallen. »Minette! Ich bin schwanger!«, flüsterte sie. Da! Sie hatte ihr Geheimnis ausgeplaudert!
Die Katze beschnüffelte den Keks, schob ihn mit der Schnauze verächtlich beiseite und schaute mit einem enttäuschten Maunzen zu Sabiha auf. Sie konnte Minettes Abneigung spüren. Eine
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