Sabihas Lied
von Tod. Sie und Zahira würden von ihrem Vater Abschied nehmen. Es war das Ende. Anstatt froh und glücklich zu sein, fühlte sie sich niedergeschlagen, traurig und seltsam leer, als könnte selbst ihr Kind unmöglich das sein, was sie sich erträumt hatte. Musste sie damit rechnen, dass auch die Mutterschaft sich als Enttäuschung herausstellen würde?
Wieder im Chez Dom, rollte sie den Teig für eine frische Ladung honiggetränkter Briouats aus, die am Samstagabend gereicht werden sollten. Dass ihre Tränen sich mit dem Teig vermischten, sprach für den stillen Triumph eines geregelten Alltags.
Vor dem Samum steht alles still. Es herrscht eine vollkommene Reglosigkeit, die die ganze Feuchtigkeit aus der Luft zieht, aus den Lungen und aus dem Kopf. Ihre GroÃmutter hatte diese Art von Stille als Lachen der Götter bezeichnet. Sabiha hatte sich immer gefragt, warum. Jetzt wusste sie es. An diesem Tag erkannte Sabiha, was ihre GroÃmutter gemeint hatte. Sie hörte das Lachen der Götter. Es ist ganz gleich, für welchen Weg man sich entscheidet. Es kann nie der richtige sein. Es gibt keinen richtigen Weg.
I n dieser Nacht setzte ein eisiger Winterregen ein, der den ganzen Samstag über andauerte. Im Radio war zu hören, dass der Regen sich in Schnee verwandeln würde und es auf den StraÃen gefährlich glatt zu werden drohte. Als die Gäste nach und nach zum Abendessen eintrafen, lagen die Graupelschauer bereits in der Luft. John stand hinter dem Tresen, um Brot in die Körbe und Wein in die Krüge zu füllen. Er sah die Männer, die er alle mit Namen kannte, einzeln und in Gruppen das Café betreten, sie trugen einen feuchten Geruch herein und zogen sich als Erstes die Kapuzen vom Kopf, bevor sie Johns Gruà erwiderten und sich an ihre Stammplätze setzten.
Um acht waren die meisten Tische vollständig besetzt, und John eilte geschäftig zwischen Speiseraum und Küche hin und her, um allen das Essen zu servieren. Das groÃe Fenster beschlug immer mehr, die Stimmen wurden lauter, im vollen Café war es warm und gemütlich, die frostige Witterung vergessen.
Als das Essen vorbei war und John das Geschirr und Besteck komplett abgeräumt hatte, trat Sabiha durch den Perlenvorhang. Sie trug ein dunkelviolettes Gewand, hatte die Haare hochgesteckt und ein Halsband angelegt, das aus den alten Silbermünzen ihrer GroÃmutter gefertigt war. Nejib strich bereits über die Saiten seines Ouds, betörende Klänge drangen durch den Zigarettennebel und das Stimmengewirr, während sein Gefährte wie immer stumm neben ihm saÃ.
John fiel erneut auf, dass keiner der Männer Sabiha di rekt ansah, und er freute sich wieder einmal über die Höflichkeit der Arbeiter und die respektvolle Atmosphäre, die an diesem gastfreundlichen Ort herrschte. Die Samstagabende im Chez Dom gaben ihm in dieser vertrauten Runde selbst das Gefühl, hier heimisch zu sein, ein Gefühl, das er ver missen würde. Er musste an den Tag zurückdenken, an dem er versehentlich hierhergeraten war und gehört hatte, wie Sabiha und ihre Tante hinter dem Perlenvorhang sangen. An manchen Abenden konnte er wieder einen Hauch dieses exotischen Zaubers spüren, der ihre erste Begegnung geprägt hatte. Dank der Güte und GroÃzügigkeit von Houria und ihrer schönen Nichte hatte er Zugang zu ihrer Welt erhalten und an ihrem Leben teilhaben dürfen. Das Gefühl, hier Gast zu sein, hatte ihn nie ganz losgelassen. Und dafür war er dankbar. Er hatte es nie für selbstverständlich gehalten. John lächelte noch über diese Erinnerungen, als er bemerkte, wie Nejibs Gefährte ihn anblickte. Der Mann sah schnell wieder weg, in Richtung Tür.
Verblüfft stellte John fest, dass Sabiha die Männerrunde fixierte. Allem Anschein nach wartete sie auf deren volle Aufmerksamkeit. Er fragte sich, was sie wohl vorhatte. Sonst fing sie einfach an zu singen, und die Männer verstummten sogleich. An diesem Abend herrschte unter ihnen eine gewisse Unruhe. Und Sabiha stand neben der Eingangstür, die zum Schutz gegen die nächtliche Kälte geschlossen war, und wartete wortlos darauf, dass Ruhe einkehrte. Als die Männer das endlich begriffen, wurde es schlagartig still, Nejib lieà sogar von seinem Oud ab. Man hörte nur noch den Regen gegen die Fensterscheiben prasseln.
»Guten Abend euch allen«, sagte Sabiha auf
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