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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Miller
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Französisch, betont förmlich, als wäre sie nicht die Köchin, die ihnen zuvor das Essen bereitet hatte, oder die Sängerin, die gleich für sie singen würde, sondern eine Fremde, die ihnen aus ganz anderen Gründen gegenübertrat. Die Männer sahen sie alle gebannt an, ohne einen Laut von sich zu geben.
    Â»Mein Vater liegt im Sterben«, fuhr sie fort.
    Ein paar Männer rutschten unbehaglich auf ihren Stühlen herum, andere bekundeten flüsternd ihr Beileid.
    Â»Am Montag reise ich in die Heimat nach El Djem, um von meinem Vater Abschied zu nehmen. Und so werde ich nächsten Samstag nicht für euch singen, und ich werde unter der Woche auch nicht für euch kochen.« Sie hielt inne und sah die Männer reihum an. Nun milderte ein Lächeln ihre Züge. »Meine gute Freundin Sonja – ihre wunderbaren Gewürze kennt ihr ja – wird die Küche übernehmen. Aber sie wird nicht für euch singen.« Allgemeines Gelächter. »Sonja kocht sogar noch besser als ich.« Ungläubiges Gemurmel. »Dafür singe ich besser. Ich möchte euch um etwas bitten, liebe Freunde des Chez Dom: Lauft uns nicht weg, während ich verreist bin.« Die Männer tuschelten erregt miteinander, sie sagten, es sei völlig undenkbar, dass sie dem Café jemals fernbleiben würden! »Sonja und John werden euch bestens versorgen, solange ich fort bin.« Nach diesen Worten gab Sabiha Nejib ein Zeichen, und er begann zu spielen.
    John betrachtete Sabiha, als sie sich Nejib zuwandte. Die beiden tauschten einen Blick, dann fing sie an zu singen. Sängerin und Musiker befanden sich in perfektem Einklang, inspirierten sich gegenseitig zu immer neuen Höhenflügen. John wusste, dass er zu diesem Teil ihres Herzens niemals Zugang erhalten würde. Er spürte eine leise Anwandlung von Neid, weil Nejib dies nicht verwehrt war. So etwas konnte man nicht lernen. Es war angeboren. Mit einer solchen Gabe wurde man groß, so wie er mit dem Buschland groß geworden war und jedes Geräusch und jeden Geruch seiner Heimat von Kindesbeinen an kannte. Es konnte durch nichts ersetzt werden. Und man konnte es nur mit jemandem teilen, der selbst damit aufgewachsen war.
    Nun sahen die Männer Sabiha direkt an, denn ihr Gesang hatte die Wirkung eines Schleiers, er verhüllte die Frau. Sie rauchten Zigaretten und tranken Wein oder Minztee, während Sabihas sehnsuchtsvolle Lieder sie in die Heimat zurückversetzten, in ihre Familien und auf die heiligen Steinäcker ihrer Vorväter.
    Plötzlich flog die Eingangstür auf, traf Sabiha mit solcher Wucht an der Schulter, dass sie herumwirbelte, und krachte dann gegen die Wand. Farbsplitter lösten sich, die Glasscheibe vibrierte, ein Schwall eisige Luft drang in den Raum und Regen spritzte auf den Boden.
    Ein Mann sprang vom Tisch neben der Tür auf.
    Bruno torkelte ins Café. Schwankend blieb er stehen und blickte wild um sich, wie ein gejagtes Tier, das vor seinen Peinigern flieht und nach einem Ausweg sucht. Er war triefend nass. Stierend sah er sich um, als versuchte er, seine Jäger ausfindig zu machen.
    Nejib gab dem Mann an der Tür ein Zeichen, und er setzte sich wieder hin.
    John stellte den Weinkrug, den er gerade aufgefüllt hatte, behutsam auf den Tresen. Dann trat er auf Bruno zu und packte ihn am Arm.
    Da erwachte der Italiener aus seiner Trance, er schleuderte John brutal von sich und ging zu dem Tisch, an dem er mittags immer zu essen pflegte. Auf ein weiteres Zeichen von Nejib hin standen die beiden Männer, die bereits dort saßen, auf und suchten sich einen anderen Platz.
    Inzwischen hatte John sein Gleichgewicht wiedergefunden. Er sah sich im Speiseraum um, wachsam, aber ruhig, im Vertrauen darauf, dass er die Situation schon meistern würde. Ihm fiel auf, dass Nejibs Gefährte so gelangweilt und verächtlich wie immer dreinsah, und er hatte plötzlich das Gefühl, dass Brunos gewaltsamer Auftritt ihn keineswegs überraschte, weil er anscheinend damit gerechnet hatte. Noch nie hatte man den Italiener betrunken erlebt, noch nie hatte man ihn an einem Samstagabend im Chez Dom gesehen.
    Nachdem die beiden Araber seinen Tisch verlassen hatten, packte Bruno seinen Stuhl an der Lehne. Der Stuhl kippte nach hinten und er taumelte zurück, ohne die Lehne loszulassen, dann sprang er wieder vor, wobei ihm der Stuhl seitlich wegrutschte. Irgendwie gelang es ihm, den Stuhl auf

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