Sacramentum
aufgeblähter Cherub aus. Ein dumpfes Geräusch kam aus dem Inneren der Tür, und Clementi zog sie auf und eilte in die Dunkelheit hinein, weg von seinem Spiegelbild.
Neonlichter sprangen in dem engen Tunnel an, als er sich durch ihn hindurchbewegte, und die Betonwände wurden von grob behauenem Fels abgelöst, als Clementi den Apostolischen Palast verließ und das Fundament des Turms aus dem 15. Jahrhundert erreichte, der daneben stand. Nach gut zehn Schritten kam er an einer zweiten Tür an, die er öffnete. Dahinter befand sich ein kleiner, fensterloser Raum, dessen Wände mit Regalen vollgestellt waren, auf denen sich Aktenkisten stapelten. Clementi betrat den Raum und drehte sich um.
»Gehen Sie voraus«, sagte er zu Schneider. »Entschuldigen Sie mich, und sagen Sie, ich müsse nur noch rasch ein anderes Meeting zu Ende bringen; dann käme ich sofort. Ich treffe Sie dann in der Lobby, damit Sie mir sagen können, wer genau mich erwartet. Bei so einem wichtigen Treffen will ich wenigstens im Voraus wissen, wer dort ist.«
Schneider verneigte sich, huschte davon und ließ Clementi mit seinen Sorgen zurück. Clementi lauschte den Schritten seines Sekretärs, die in der Ferne verhallten, den Blick auf die gekreuzten Schlüssel des päpstlichen Siegels und die Buchstaben IOR fixiert, die jede Akte in dem Raum zierten. Clementi befand sich in jenem Teil des Turms von Nikolaus V., der an die Ostmauer des Apostolischen Palastes anschloss und nun einem der exklusivsten Finanzinstitute der Welt als Hauptquartier diente. IOR stand für Istituto per le Opere di Religione, das Institut für Religiöse Werke oder kurz: die Vatikanbank. Und die Vatikanbank war nicht nur eines der exklusivsten, sondern auch das geheimste Finanzinstitut der Welt und der Hauptgrund für Clementis Sorgen.
Gegründet 1942, um den gewaltigen Reichtum und die Investitionen der Kirche zu verwalten, besaß die Bank nur wenig mehr als vierzigtausend Kontoinhaber. Diese mussten sich um Steuern keinerlei Gedanken machen, und die Geheimhaltungsstufe der Bank ließ ihre Schweizer Konkurrenz vor Neid erblassen. Dadurch hatte sie einige der reichsten und einflussreichsten Investoren der Welt angelockt; aber sie hatte auch stets für Kontroversen gesorgt.
In den 70er und 80er Jahren war das Institut von dem Financier Michele Sindona missbraucht worden, um Drogengelder der Mafia zu waschen. In der Folge davon hatte man Roberto Calvi, den berühmten ›Bankier Gottes‹, zum Chef der Vatikanbank ernannt, um die gewaltigen Ressourcen der Kirche besser unter Kontrolle zu bekommen. Stattdessen hatte er die Bank jedoch benutzt, um illegal Milliarden von anderen Geldhäusern abzuschöpfen, was die Kirche in ein großes moralisches Dilemma gebracht hatte, als die ganze Sache schließlich aufgeflogen war. Ein paar Wochen später war Calvi tot aufgefunden worden. Die Taschen voll mit Ziegelsteinen und Banknoten hatte er unter der Blackfriars Bridge in London gehangen. Man hatte viel in diesen Ort hineininterpretiert, nicht zuletzt, da Calvi Mitglied einer Freimaurerloge gewesen war, die bezeichnenderweise den Namen ›Black Friars‹ trug; einen Täter hatte man in diesem Mordfall jedoch nie ermitteln können. Doch wie auch immer, in jedem Fall warfen all diese Skandale noch immer ihre Schatten, und Clementi war geradezu besessen davon, die Vatikanbank wieder zu rehabilitieren, zumal er auch noch den perfekten Hintergrund dafür besaß.
Clementi hatte in Oxford nicht nur Theologie, sondern auch Geschichte und Ökonomie studiert und Gottes Hand in allen drei Disziplinen erkannt. Er betrachtete die Ökonomie als eine Macht des Guten, denn sie schuf Wohlstand und linderte so das irdische Leid der Menschen. Die Geschichte hatte ihn aber auch die Gefahren wirtschaftlichen Scheiterns gelehrt. Clementi hatte die großen Zivilisationen der Vergangenheit studiert und sich dabei nicht nur darauf konzentriert, wie sie ihren sagenhaften Reichtum erworben, sondern auch darauf, wie sie ihn wieder verloren hatten. Immer wieder und wieder waren Imperien über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende hinweg in immer neue Höhen aufgestiegen, doch nur um genauso plötzlich und rasch wieder zu zerfallen, bis nur noch Legenden und Ruinen übrig geblieben waren. Clementi hatte sich oft überlegt, was wohl aus ihrem Reichtum geworden war. Häufig war er in die Hände von Eroberern gefallen und hatte den Grundstock neuer Reiche gebildet, oft aber auch nicht. Die Geschichte war voll mit
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