Sacramentum
gierten.
Und eines dieser Geheimnisse war seins.
Sollte das jemals ans Tageslicht kommen, dann wäre alles, was er erreicht hatte, umsonst gewesen, und die Kirche wäre verloren.
Plötzlich keimte eine Welle der Wut in Clementi auf, und er verfluchte seine eigene menschliche Schwäche. Er hatte der katastrophalen Situation in Trahpah einfach viel zu lange ihren Lauf gelassen. Clementi stürzte aus dem Raum und eilte weiter durch den Tunnel. Er würde der Gruppe zeigen, wie entschlossen er wirklich war, und zwar indem er vor ihren Augen vier Todesurteile unterschrieb. Dann würden sie durch Blut miteinander verbunden sein.
Clementi stürmte in die Lobby und stapfte über den Marmorfußboden, vorbei an den Bankautomaten mit den Bedienungsanleitungen auf Latein und zu dem Lift, der in die Gewölbe führte und vor dem Schneider bereits wartete.
Die Aufzugtür glitt auf, als er sich ihr näherte, und Schneider zuckte unwillkürlich zusammen, als er sah, wie sein Herr und Meister mit vor Wut funkelnden Augen auf ihn zumarschierte.
»Und?«, verlangte Clementi zu wissen. Er betrat den Aufzug und drückte den Knopf, der sie direkt ins Gewölbe führen würde. »Wem von unseren hochgeschätzten Geschäftspartnern werde ich gegenübertreten?«
»Allen«, antwortete Schneider, als die Tür sich schloss und die Fahrt nach unten begann. »Die ganze Gruppe ist hier.«
6
Bagdad, Irak
Trockener Staub hing über dem Markt von Sadr City in der Abendluft, die angefüllt war mit den Gerüchen von rohem Fleisch, reifen Früchten und Verfall. Hyde saß dem Hauptmarkt gegenüber im Schatten eines Cafés, vor sich eine importierte amerikanische Zeitung und die Reste eines kleinen Glases Kaffee. Zwei Fliegen jagten einander um den Unterteller herum. Hyde versuchte zu erraten, welche von beiden als Erste wieder starten würde. Er lag falsch … wie so oft in seinem Leben.
Hyde griff nach dem Glas, nippte an der schlammigen Flüssigkeit und ließ seine hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgenen Augen über den Marktplatz schweifen. Er hasste den irakischen Kaffee. Er wurde neun Mal gekocht und abgekühlt, um alle Verunreinigungen zu entfernen; allerdings wurde er so auch ungenießbar. Na ja, zumindest war so sichergestellt, dass er keine Keime mehr enthielt. Die meisten Irakis tranken ihn mit Sahne und einer Tonne Zucker, um den Geschmack zu übertünchen. Doch Hyde trank ihn schwarz, um sich an daheim zu erinnern. Der bittere Geschmack schürte seinen Hass auf dieses Land, dem er einfach nicht entkommen konnte. Außerdem war Schwarz seine Lieblingsfarbe. Wann immer das Leben zu kompliziert wurde und er daran zu verzweifeln drohte, suchte er sich ein Casino, ging an den Roulettetisch, setzte alles auf Schwarz und reduzierte seine Sorgen auf ein einziges Drehen des Rads. Wenn er gewann, dann ging er mit genug Geld weg, um sich ein Stück Seelenfrieden zu kaufen; aber niemals riskierte er den Gewinn bei einem zweiten Spiel. Wenn er verlor, dann hatte er im wörtlichen Sinne nichts mehr zu verlieren. Aber so oder so, stets verließ er den Tisch irgendwie verändert, und das gefiel ihm.
Hyde blickte auf seine Uhr. Seine Kontaktperson war spät dran; also winkte er dem Kellner und schaute zu, wie der Mann ihm ein neues Glas der verhassten Flüssigkeit eingoss. Er konnte hier nicht sitzen, ohne etwas zu trinken; er fühlte sich auch so schon exponiert genug. Seine sechs Fuß große Gestalt und die weiße Haut ließen ihn genauso aus der Masse herausstechen wie der rote Bart. Deshalb ging er auch davon aus, dass er beobachtet wurde, obwohl er niemanden entdeckte. Hyde griff nach seiner Zeitung und tat so, als würde er lesen; in Wahrheit beobachtete er jedoch die Passanten durch seine Sonnenbrille hindurch.
Sadr City war eine Vorstadt im Osten Bagdads. Vor der Invasion hieß sie Saddam City und davor Revolution. Doch keine der Namensänderungen hatte etwas an ihrer Natur geändert: Sadr City war ein Slum, der in den 50er Jahren rasch in die Höhe gezogen worden war, um den Armen der Stadt eine feste Unterkunft zu geben. Und heutzutage lebten sogar noch mehr Menschen hier; die Häuser waren zum Bersten voll. Und alle kamen sie zum Markt, um ihre Einkäufe zu erledigen. Im Augenblick war die geschäftigste Zeit. Jeder kam auf dem Weg von der Arbeit hier vorbei, um frische Nahrung zu kaufen, die irgendjemand anders während der Hitze des Tages auf seine Kosten gekühlt hatte. So viele Zivilisten auf so engem Raum waren ein taktischer
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