Sacramentum
Legenden von gewaltigen Schätzen, die einfach verschwunden waren.
Nach seinem Abschluss und dem Beginn seiner Kirchenkarriere hatte Clementi Gott auf die beste Art gedient, die ihm möglich gewesen war. Er hatte all sein Wissen und Können genutzt, um endlich dafür zu sorgen, dass das Geld, das aus den Truhen der Kirche abfloss, auch wieder hereinkam. Er wusste, wo früher der Glaube die Welt beherrscht hatte, regierte nun das Geld, und so war es von äußerster Wichtigkeit, die Kirche zu einem ökonomischen Schwergewicht zu machen, wollte sie ihre alte Macht zurückerlangen.
Je weiter Clementi aufgestiegen war, desto mehr Einfluss hatte er bekommen, und diesen Einfluss hatte er genutzt, um die veralteten Finanzsysteme der Kirche zu überholen, und schließlich war sein Eifer und sein Können mit dem Amt des Kardinalstaatssekretärs belohnt worden. Als solcher hatte er nun auch Zugriff auf das Herzstück des katholischen Finanzwesens: die Vatikanbank.
Seine erste Amtshandlung als Kardinalstaatssekretär war dann auch gewesen, sich einen Überblick über die geheimen Konten der Bank und damit über den Stand der Finanzen des Vatikans im Allgemeinen zu verschaffen. Doch diese Aufgabe hatte er niemandem anvertrauen wollen, und so hatte es ihn fast ein Jahr gekostet, bis er sich durch diesen Sumpf aus Betrügereien und falschen Bilanzen gekämpft und das wahre Bild herausgearbeitet hatte. Und was er dann hatte sehen müssen, hatte ihm den Magen umgedreht. Aufgrund systematischer Korruption und Hunderten von Jahren Missmanagement waren die gewaltigen finanziellen Mittel der über zweitausendjährigen Mutter Kirche so gut wie aufgebraucht.
Billionen von Dollar … einfach weg!
Natürlich besaß die Kirche noch immer Grund und Boden sowie unbezahlbare Kunstwerke, aber sie hatte kein Bargeld – nichts. Die Kirche war de facto bankrott, und aufgrund jahrhundertelanger Konten- und Bilanzfälschung wusste niemand davon, nur er.
Clementi erinnerte sich daran, wie verzweifelt er in jenem Moment gewesen war, als er sich die Konsequenzen vorgestellt hatte, sollte diese Wahrheit je ans Licht kommen. Wäre die Kirche eine Firma, sie hätte Insolvenz anmelden müssen, und ihre Gläubiger hätten sie zerschlagen und die Einzelteile unter sich verteilt. Aber die Kirche war keine Firma, sondern sie erfüllte Gottes Werk auf Erden, und Clementi durfte nicht zulassen, dass sie zum Opfer weltlicher Gier wurde. Also hatte er sich auf das zurückgezogen, worauf die Kirche sich in Zeiten der Not immer zurückgezogen hatte – ihre Unabhängigkeit und Verschwiegenheit –, und so war es ihm gelungen, seine Entdeckung geheim zu halten.
Da ihm nichts anderes übrig geblieben war, als mit den unehrlichen Praktiken seiner Vorgänger fortzufahren, hatte Clementi die wahren Kontostände verschleiert und die Illusion der Solvenz bewahrt, indem er das wenige vorhandene Geld ständig hin und her bewegte; gleichzeitig betete er für ein Wunder. Aber er verzweifelte nicht, denn trotz seiner Isolation und der schier unglaublichen Verantwortung, die er trug, sah er doch Gottes Hand am Werk. Denn war es nicht Gott gewesen, der Clementi sein finanzielles Talent gegeben und ihn auf den Posten des Kardinalstaatssekretärs befördert hatte?
Doch die finanziellen Verluste waren viel zu gewaltig, als dass man sie mit einfachen Restrukturierungsmaßnahmen wieder ausgleichen könnte. Aber Clementi musste einen Weg zur Refinanzierung der Kirche finden. Und schließlich hatte er auch eine Lösung für dieses Problem gefunden und das am unwahrscheinlichsten aller Orte. Der Schlüssel zur Zukunft der Kirche lag in ihrer Vergangenheit – in Trahpah.
Inzwischen waren fast drei Jahre seit dieser Erkenntnis vergangen, drei Jahre, in denen Clementi all seinen Einfluss geltend gemacht und Präsidenten und Premierminister zu Zugeständnissen im Tausch für Gefälligkeiten bewegt hatte, wie nur die Kirche sie gewähren konnte. Wie die päpstlichen Legaten in alter Zeit hatte Clementi die modernen christlichen Könige und Kaiser in Kriege getrieben, um Zugang zu heidnischen Ländern zu bekommen, die einst der Kirche gehört hatten. Und jetzt, da sein kühner Plan fast vollendet war, wurde er ausgerechnet von jenem alten und geheimnisvollen Ort bedroht, an dem die Idee ihren Ursprung gehabt hatte.
Clementi dachte an die Zeitungen auf seinem Schreibtisch und die Schlagzeilen, die den Zusammenbruch der Zitadelle prophezeiten und nach den Geheimnissen in ihrem Inneren
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