Saeculum
brachte wieder einmal kein Wort heraus. Der Zweitausend-Euro-Anzug, die Seidenkrawatte, die Goldrandbrille und der abschätzige Blick, den sie schärfte, waren nicht einmal das Schlimmste. Es war diese völlige Selbstsicherheit, mit der sein Vater davon ausging, dass jeder seinen Anweisungen folgte; ohne zu widersprechen oder Fragen zu stellen. Auch Bastian. Vor allem Bastian.
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich in Bewegung setzen könntest.« Ein schneller Blick auf die Breitling am Handgelenk. »Ich möchte dich einigen einflussreichen Kollegen vorstellen, bevor ich meine Rede halte.«
»Ich komme nicht mit.«
Ein winziger Muskel zuckte im rechten Augenwinkel seines Vaters. »Doch. Natürlich tust du das.«
»Nein. Ich habe andere Pläne. Du hättest dir den Weg sparen können, wenn du vorher angerufen hättest.« Es tat so gut, diese Dinge zu sagen, auch wenn klar war, dass sie nicht ungestraft bleiben würden. Aber das war es wert.
»Was sind das für … Pläne?« Lächerliches Zeug, jede Wette, schwang in der Stimme seines Vaters mit. »Sicherlich etwas, das sich verschieben lässt.« Er ging an Bastian vorbei ins Wohnzimmer, nahm das Physio-Buch und schlug es beim eingelegten Lesezeichen auf.
»Weiter bist du bisher nicht gekommen? Du hast doch nur noch sechs Wochen.« Er warf das Buch zurück auf den Tisch. »Ich erwarte mir ausgezeichnete Leistungen, das weißt du. Sonst lass die Finger von der Medizin. Wir haben einen Namen zu verlieren.«
Die Hitze in Bastians Körper war gestiegen und hatte zu brodeln begonnen. »Ich gehe das Buch schon zum zweiten Mal durch, Vater.«
»Ach? Na schön. Dann wird der Ausflug nach Berlin dich in deinem Pensum nicht unverantwortlich weit zurückwerfen. Pack jetzt deine Sachen.«
»Nein.« Es war ein Gefühl, als würde er auf dem Dach eines Hochhauses stehen und nach unten sehen. Schwindelerregend. »Ich komme nicht mit, das habe ich bereits gesagt und du hast es gehört. Wenn du meinst, du kannst dich darüber hinwegsetzen, liegst du falsch. Meinetwegen sperr mein Konto, dreh mir den Geldhahn ab - weißt du was? Das wäre mir sogar recht! Ich kann genauso gut bei McDonald's jobben oder in einer Bar aushelfen wie andere Studenten, die auf eigenen Beinen stehen müssen.«
Bastian konnte sich nicht erinnern, seinem Vater gegenüber jemals mehr als zwei Sätze am Stück losgeworden zu sein, ohne dass er ihm ins Wort gefallen wäre. Er duckte sich innerlich, doch Maximilian Steffenberg grinste nur.
»Es ist ein Mädchen, richtig? Verstehe. Nichts dagegen einzuwenden, aber auch nicht wirklich wichtig. Im Gegensatz zu diesem Kongress, der ist, wie du weißt, nur einmal im Jahr. Mädchen dagegen gibt es immer und es gibt sie haufenweise.«
Was du nicht sagst, Vater. »Apropos, wie geht es Mama?«
Sein Vater zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Wie üblich.«
Also beschissen, wollte Bastian sagen, da läutete sein Handy. Wahrscheinlich Sandra. Er nahm es hastig vom Schreibtisch, sein Vater sollte ihren Namen nicht auf dem Display sehen, doch die Sorge war unbegründet gewesen. Der Anrufer war anonym.
»Hallo?«
»Fahr nicht.« Die Stimme klang gedämpft.
»Wer ist da?« Instinktiv sprach auch Bastian leise, drehte sich von seinem Vater weg und ging in die Küche.
»Egal. Vertrau mir einfach. Bleib zu Hause, bei der Sache stimmt etwas nicht.« Durch die Leitung hörte Bastian Schritte, als liefe sein Anrufer eine Treppe hinunter.
»Was meinst du? Was stimmt nicht? Kennen wir uns?«
»Nein, aber das spielt auch keine Rolle. Ich kann es dir nicht genauer erklären, ich bin in Eile und du würdest mir sowieso nicht glauben. Aber es ist ein guter Rat, wirklich. Nimm ihn an. Ich möchte dich nur warnen.« Eine männliche Stimme, Bastian war so gut wie sicher.
»Wovor denn, zum Teufel?«
»Ich muss jetzt auflegen. Frohe Pfingsten.«
Bastian ging zurück ins Wohnzimmer. Seine Verwirrung war ihm offenbar anzumerken, denn sein Vater stürzte sich sofort auf ihn, als wäre er ein verwundetes Tier. Leichte Beute.
»Schluss mit dem Unsinn, Bastian. Ich sage, du kommst mit, also kommst du mit. Ich bleibe selbst nur bis morgen - in vierundzwanzig Stunden bist du also fast schon wieder zurück. Es bleibt dir auch gar nichts anderes übrig - ich habe den Kollegen aus Heidelberg bereits angekündigt, dass ich ihnen meinen Sohn vorstellen möchte.«
Ach, das ist es also. »Sie werden es überleben, die Kollegen aus Heidelberg. Und du auch. Ich komme nicht mit, selbst
Weitere Kostenlose Bücher