Saeculum
um. Wann hast du das letzte Mal einen so schönen Wald gesehen? Kannst du uns das nicht genießen lassen?«
»Ich spüre böse Absichten. Ich versuche bloß, uns zu schützen, so wie ich es versprochen habe.«
Sandra schien etwas erwidern zu wollen, doch sie sagte nichts, sondern legte Bastian die Hände auf den Rücken und schob ihn förmlich bergauf. »Ich höre mir das nicht länger an. Auf geht's, Tomen.«
Sie zogen los. Die Luft war noch kühl, aber es würde ein heißer Tag werden, um Bastians Kopf kreisten die ersten Fliegen, doch in seine Lunge strömte die beste Luft, die er seit Langem geatmet hatte. Vorneweg lief Paul, und so großartig, wie Bastian sich fühlte, würde er ihn bald eingeholt haben.
Sie stiegen einen bewaldeten Hang hinauf, der rot von alten Fichtennadeln war. Rot und rutschig. Bastians Rucksack lastete steinschwer auf seinen Schultern und insgeheim bewunderte er Georg, der doppeltes Gepäck trug, seines und Lisbeths, ohne dass ihm die Anstrengung anzumerken war. Ihm selbst ging dagegen zusehends die Luft aus. Der Hang lag hinter ihnen, nun stiegen sie eine Schneise hinauf, in der kaum Bäume wuchsen. Die Sonne blendete sie mit ihren morgendlichen Strahlen.
»Wie weit müssen wir noch?«, rief er Paul zu, der sein Höllentempo ein wenig gedrosselt hatte.
»Halbe Stunde, ungefähr. Aber keine Bange, die Steigung werden wir bald hinter uns haben und dann ist es ein Spaziergang.«
Alma hatte Roderick von der Leine gelassen, er sauste freudig hechelnd zwischen Paul und Bastian hin und her, schnappte nach Schmetterlingen und steckte hingebungsvoll seine Nase in jeden Busch.
Von Minute zu Minute wurden die Fliegen, die Bastians Kopf umkreisten, zahlreicher. Vielstimmiges Insektensummen war das beherrschende Geräusch. Er bemühte sich, nur durch die Nase einzuatmen, und konzentrierte sich auf seine Schritte. Zwischen den Bäumen tauchten weiße Felsen auf, die in bizarren Formationen übereinanderlagen, als hätte jemand sie aufeinandergestapelt. Bastian musste an keltische Opfersteine denken.
Oben auf der Kuppe der Steigung blieb Sandra stehen, hockte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und vertrieb einen Käfer, der über ihre Jeans marschierte. Als Bastian sich neben sie setzte, stand sie schnell wieder auf. »Wenn du Durst hast, trink die hier aus.« Sie hielt ihm eine halb volle Wasserflasche hin und wandte sich zum Gehen.
»Hey, warte.« Niemand war in der Nähe. Das war die Gelegenheit, um loszuwerden, was ihm seit gestern Nachmittag auf dem Herzen lag.
»Ja?«
»Ich habe vor der Abreise einen sehr seltsamen Anruf bekommen. Du auch?«
Sie hob die Augenbrauen. »Nein. Was genau meinst du mit seltsam?«
»Jemand wollte mich überreden, nicht hierher mitzufahren. Genauer gesagt, er wollte mich warnen. Er meinte, etwas würde hier nicht stimmen.«
In Sandras Gesicht arbeitete es. »Ist doch völliger Blödsinn. Was sollte das denn sein?«
»Das habe ich auch gefragt, aber keine vernünftige Antwort bekommen.«
»War vielleicht nur einer von deinen Freunden, der dir einen Streich spielen wollte?«
Auf die Idee war Bastian noch gar nicht gekommen. Aber nein. Das passte nicht. Er schüttelte den Kopf. »Die Nummer war unterdrückt, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass es niemand war, den ich kenne.«
Er sah ihr in die Augen. »Fällt dir jemand ein, der mich nicht dabeihaben will?« Er zögerte, sprach es dann aber aus. »Oder ein Grund, aus dem man mich warnen müsste?«
Wieder Kopfschütteln, diesmal gedankenverloren. »Es gibt ein oder zwei Jungs aus der Gruppe, die auf mich stehen«, sagte sie langsam. »Könnte natürlich sein, dass die nicht so begeistert darüber sind, dass ich dich mitbringe.«
Übertriebene Bescheidenheit kann man Sandra nicht attestieren, dachte Bastian mit einem Anflug von Belustigung. Andererseits - sie war ja wirklich hübsch. »Möglich. Das wäre eine Erklärung, mit der ich gut leben kann.« Er zog sie an sich, streichelte ihr durchs sonnenwarme Haar. Sie lächelte kurz, dann machte sie sich wieder von ihm frei.
»Komm, wir müssen weiter, sonst verlieren wir den Anschluss, und ich will mich hier nicht verlaufen.«
Der Weg stieg nun wieder leicht an und sie schwiegen, um Atem zu sparen, denn vor ihnen wartete eine neue Herausforderung in Form eines mannshohen Erdwalls, der ihnen den Weg versperrte. Steine und zersplitterte Baumstrünke hatten sich mit der Erde vermischt, trotzdem war es schwierig, irgendwo ausreichend Halt zu finden, um
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