Saeculum
»Danke. Ich grusel mich für mein Leben gern.«
»Und in diese verfluchte Gegend fahren wir gerade?«, fragte Bastian. »Ist natürlich beunruhigend, wenn man abergläubisch ist.«
»Ja, und Doro glaubt an Flüche«, sagte Sandra. »Aber sie glaubt glücklicherweise auch an Gegenflüche und wird bestimmt massenhaft Schutzzauber sprechen. Also alles im grünen Bereich.«
Im Abteil kehrte Ruhe ein, nur das Rattern der Räder auf den Schienen war zu hören. Bastian fühlte, wie die Müdigkeit sich auf ihn herabsenkte. Er ließ seinen Blick zum Fenster wandern. Bäume flogen vorbei, Häuser. Er gähnte. Iris' Gesicht war ihm halb zugewendet. Schlief sie? Er war nicht sicher. Sie atmete ruhig und hielt die Harfentasche auf ihrem Schoß an sich gepresst wie einen Talisman. Bastians Blick kehrte zum Fenster zurück. Bäume. Häuser. Bäume.
Irgendwann musste er eingeschlafen sein, denn ein durchdringender Pfiff riss ihn ins Bewusstsein zurück. Draußen war es fast schon dunkel.
»Nur noch eine knappe Stunde bis München«, sagte Sandra und hielt ihm eine halb volle Flasche Cola unter die Nase. »Lust auf ein paar letzte Genüsse der Jetztzeit?«
Er trank, obwohl es schal schmeckte. Jetzt meldete sich auch sein Magen mit deutlichen Zeichen von Hunger. Kein Problem, denn Sandra war mit Käsebroten und Müsliriegeln ausgerüstet, extra für ihn.
»Ich möchte, dass dieser Trip dir Spaß macht«, sagte sie. »Ein bisschen fühle ich mich für dich verantwortlich, nachdem ich dich mitgeschleppt habe«, fügte sie hinzu und förderte noch eine Packung Gummibärchen zutage. »Jetzt essen, ab morgen sind die verboten.«
Bastian tat, was sie sagte, dann ging er sich die Beine vertreten. Vor dem Abteil traf er Lars, der ein Zugfenster geöffnet hatte und den Kopf in den Fahrtwind hielt. Wieder hatte er seine Lanze bei sich, was ihm reichlich Kopfschütteln von den sich vorbeidrängenden Passagieren einbrachte.
Als er Bastian bemerkte, drehte er sich um. »Na? Freust du dich schon?«
»Ja. Irgendwie. Obwohl mir das alles sehr fremd ist.«
Lars nickte. »Anfangs fühlt man sich merkwürdig in den altertümlichen Klamotten und mit einem Schwert am Gürtel, aber man findet sich schnell zurecht.« Er seufzte. »Außer man sitzt im gleichen Zugabteil wie Doro. Sei froh, dass dir das erspart geblieben ist.«
»Wieso denn?«
»Sie will uns immer noch zum Umkehren bewegen. Gerade sitzt sie da drin« - er wies mit der Hand auf die Tür des Abteils rechts hinter ihnen - »und singt Totenlieder. Keltische.«
»Auweia.«
»Du sagst es.« Lars zog seinen Speer näher an sich, um einen älteren Mann vorbeizulassen. »Sie wollte, dass wir alle mitsingen. Wir sollen hilfreiche Geister um uns sammeln, damit sie uns gegen den Fluch schützen.«
Hinter ihnen öffnete sich eine Schiebetür. Alma, Arno und ihr Terriermischling kamen heraus, begleitet von dumpfem Singsang. Lediglich der Hund wirkte nicht mitgenommen.
»Das hält kein Mensch aus«, brummte Arno kopfschüttelnd. »Wir gehen in den Speisewagen.«
Bastian sah ihnen nach. Von hinten sahen sie einander erstaunlich ähnlich - klein, rundlich, blond. Irgendwie drollig.
»Du bist Medizinstudent, stimmt's?«, unterbrach Lars seine Betrachtungen.
»Genau. Und du?«
»Germanistik. Ich lese und schreibe unheimlich gern.«
»Verstehe. Mittelalterromane?«
Lars legte den Kopf schief. »Nein, aber das wäre eine Herausforderung. Habe ich mir noch nie überlegt. Aber eigentlich gehöre ich nicht zu den Mittelalterexperten in der Runde, ich bin erst über Paul in die Szene gekommen, vor ungefähr zwei Jahren. Er dachte, es wäre gut für mich. Abwechslung vom vielen Lesen. Frische Luft. Mädchen in Miedern.«
»Sehr fürsorglich von Paul«, sagte Bastian grinsend.
»Ja, nicht? Aber so ist er. Er kümmert sich um die Menschen, an denen ihm etwas liegt.« Lars blickte nachdenklich zur Seite.
»Kennt ihr euch schon lange?«
»Ja«, sagte Lars schlicht. »Viele Jahre.«
Als sie in München ankamen, nieselte es. Paul schlug vor, die eine Stunde Wartezeit bei Kaffee und Bagels im Coffee Fellows zu verbringen. Bastian, dem von den Gummibärchen noch leicht übel war, beschloss, lieber gemeinsam mit Alma deren Hund Gassi zu führen.
»Wie heißt er eigentlich?«
»Roderick.«
Bei der Nennung seines Namens hob der Hund den Kopf und wedelte mit dem Schwanz.
»Hübsches Tier.«
»Ja, nicht wahr?«
Sie drehten eine Runde um den Block, wobei Roderick sich Mühe gab, alle zwei Meter
Weitere Kostenlose Bücher