Saeculum
eine Duftspur zu hinterlassen.
»Du findest es gut, dass die Con wieder am gleichen Ort stattfindet wie letztes Jahr?«, fragte Bastian, bevor sie das Café betraten, wo der Rest der Gruppe saß.
»Ja! Wunderschöne Landschaft, wirklich ursprünglich. Ich kann verstehen, dass das Organisationsteam dort noch einmal hinwill.«
»Hm. Es ist nur, weil die anderen … also, weil Doro gemeint hat, diese Ecke sei merkwürdig oder sogar unheimlich. Du siehst das anders?«
Alma nahm die Leine kürzer, was Roderick mit unwilligem Winseln quittierte. »Es gibt keine merkwürdigen Gegenden«, sagte sie. »Es gibt nur merkwürdige Menschen.«
E ine Stunde Aufenthalt war viel zu lang und das Café viel zu hell, die gläsernen Wände boten freien Blick auf das Innere. Iris drückte sich in ihre Ecke und nahm jeden, der das Lokal betrat, genau in Augenschein. Die Wartezeiten bis zum Umsteigen waren das Unangenehmste an der Reise, sie wollte in Bewegung bleiben. Jemand, der stillhielt, war leicht zu fangen.
Jetzt sah einer der Typen vom Nebentisch herüber und Iris presste sich instinktiv an Steinchen, doch das Interesse des Tischnachbarn galt nur dem Speer, den Lars an die Wand gelehnt hatte und der gerade umzufallen drohte.! »Ist dir kalt?«, fragte Steinchen. Sie schüttelte den Kopf und merkte zu ihrer eigenen Bestürzung, dass ihr Tränen in die Augen traten. Toll, Iris, heul doch eine Runde. Bloß weil jemand wissen will, wie es dir geht.
»Nein, es ist alles okay«, erwiderte sie und rückte ein Stück von Steinchen ab. »Ich würde nur gern schon weiterfahren.«
»Du hast dir aber auch gar nichts geholt! Möchtest du Kaffee? Einen Bagel? Die sind gut. Auf meine Rechnung, ja?«
»Nein.« Sie nahm Steinchens Hand und drückte sie. »Danke. Aber ich kann gerade nichts essen.«
Wieder kam jemand durch die Tür, Iris zuckte zurück, doch es waren nur der Musterschüler, Alma und Roderick, der hingebungsvoll schnüffelte und dann neben Arno Sitz machte.
»In zwanzig Minuten geht es weiter«, verkündete Paul. »Versucht, in den nächsten vier Stunden ein wenig Schlaf zu kriegen, für Nickerchen wird morgen keine Zeit sein. Wir haben uns tolle Sachen für euch einfallen lassen.« Er sah einen nach dem anderen an. »Ihr werdet euch nicht über mangelnde Abwechslung beklagen können. Wer noch etwas bestellen möchte, bitte beeilen, in zehn Minuten sind wir hier raus.«
Steinchen holte sich zwei weitere Bagels und einen Cappuccino, von dem Iris auf seine Aufforderung hin den Schaum herunterschlürfte. Über den Tassenrand hinweg beobachtete sie, wie Sandra Bastian mit Muffinstückchen fütterte, als wäre er ein Schoßhund.
Der Bahnsteig, von dem ihr Zug abfahren sollte, war fast leer. Iris behielt die Uhr im Auge. Fünf nach halb zwölf. Sie fühlte ein Kribbeln im Rücken, drehte sich um, aber da war niemand. Und wenn doch, würdest du ihn nicht sehen. Sie presste die Tasche mit der Harfe fester an sich und wünschte sich den Zug herbei. Als er endlich einfuhr, war sie die Erste, die in den Waggon stieg, und die Erste im reservierten Abteil. Vorhänge zu. Ausatmen.
»… nicht wundern, sie ist immer so rücksichtslos«, sagte jemand mit gedämpfter Stimme. Sandra natürlich, die Bastian an der Tür vorbeizog, um das Nebenabteil in Beschlag zu nehmen. Iris schloss die Augen. Schlafen würde sie vermutlich nicht, aber wenigstens so tun als ob.
4.23 Uhr. Bastians Kopf fühlte sich an wie mit flüssigem Zement gefüllt. Er verfehlte die Trittstufe und verließ den Waggon mehr fallend als gehend. Hatte er sein ganzes Gepäck dabei? Ja, vermutlich. Falls nicht, war es ohnehin zu spät, denn schon setzte der Zug sich wieder in Bewegung.
Es war noch dunkel. Bastians teils überdrehte, teils schlaftrunkene Reisegenossen gruppierten sich bei der Treppe zur Unterführung. Er selbst zählte jedenfalls zur zweiten Kategorie - wider Erwarten war er schon kurz nach München eingeschlafen und eben erst von Paul unsanft geweckt worden.
»Wir müssen zu Gleis eins!«, rief der nun, seine Stimme schallte unnatürlich laut über den menschenleeren nächtlichen Bahnhof. »Aber nicht hetzen, wir haben noch gut zwanzig Minuten Zeit.«
Jeder ihrer Schritte hallte auf den Treppen. Sie passierten einen Bahnmitarbeiter, der sie mit schiefem Kopf musterte - Lars' Speer war wirklich ein Blickfang -, sonst war weit und breit kein Mensch in Sicht. Der Zug stand bereits wartend auf dem Gleis und war praktisch leer. Das Gepäck auf die Ablage
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