Saemtliche Dramen
STAWROGIN durchquert das Zimmer in der Stille, die bei seinem ersten Schritt entstanden ist, tritt wie verträumt vor GAGANOW hin, hebt langsam den Arm, greift GAGANOW s Nase und zieht daran, nicht unbedingt unsanft, aber er zwingt ihn, einige Schritte zur Bühnenmitte zu gehen. WARWARA STAWROGINA schreit ängstlich: «Nikolai!» NIKOLAI lässt GAGANOW los, tritt einige Schritte zurück und betrachtet ihn, nachdenklich lächelnd. Eine Sekunde herrscht Erstarrung, dann bricht der Tumult los. Die anderen umringen GAGANOW , führen ihn zu einem Stuhl und setzen ihn darauf; er ist fassungslos. NIKOLAI dreht sich um und geht hinaus. WARWARA nimmt verstört ein Glas Wasser und bringt es GAGANOW .)
Er … Wie kann er nur … Hilfe! Hilfe!
WARWARA (zu STEPAN TROFIMOWITSCH )
Oh mein Gott, er ist verrückt, vollkommen verrückt …
STEPAN (ebenfalls verstört)
Aber nein, meine Werte, das war nur ein dummer Streich, die Jugend eben …
WARWARA (zu GAGANOW )
Bitte verzeihen Sie meinem Nikolai, lieber Freund, bitte.
( NIKOLAI kommt wieder herein. Er hält kurz inne, geht dann entschlossen auf GAGANOW zu, der erschrocken aufsteht.)
STAWROGIN
Natürlich verzeihen Sie mir! Eine plötzliche Anwandlung … Eine Dummheit …
STEPAN (geht von der anderen Seite auf NIKOLAI zu, der gelangweilt vor sich hin sieht)
Das sind keine annehmbaren Entschuldigungen, Nikolai. (Ängstlich) Bitte, lieber Junge. Sie haben ein großmütiges Herz, Sie sind gebildet, wohlerzogen, und auf einmal treten Sie hier so rätselhaft und beängstigend auf. Wenigstens Ihrer Mutter zuliebe sollten Sie so etwas nicht tun.
STAWROGIN (sieht WARWARA STAWROGINA an, dann wieder GAGANOW )
Gut, ich werde es erklären. Aber nur ganz leise, Herrn Gaganow ins Ohr, er wird mich verstehen.
GAGANOW (tritt eingeschüchtert vor. NIKOLAI STAWROGIN neigt sich zu ihm und packt sein Ohr mit den Zähnen.)
Nikolai! … Nikolai! …
(Die anderen begreifen noch nicht, was da vor sich geht, und sehen zu ihnen hin.)
Nikolai, Sie beißen mir ins Ohr! (Schreit) Er beißt mir ins Ohr! ( STAWROGIN lässt los, steht starr da und schaut ihn dumpf an. GAGANOW rennt schreiend hinaus.) Wache! Wache!
WARWARA (geht auf ihren Sohn zu)
Nikolai, um Gottes willen!
( NIKOLAI sieht sie an, lacht schwach und schlägt der Länge nach zu Boden; er hat eine Art Anfall.)
Dunkel
GRIGOREJEW, DER ERZÄHLER
Gaganow musste für mehrere Wochen das Bett hüten. Nikolai Stawrogin ebenso. Aber dann stand er wieder auf, entschuldigte sich angemessen und begann eine längere Reise. Der einzige Ort, an dem er einige Zeit blieb, war Genf, und zwar nicht wegen des charmanten städtischen Lebens dort, sondern weil er die Damen Drosdowa wiedertraf.
Zweites Bild
(Warwara Stawroginas Salon. WARWARA STAWROGINA und PRASKOWJA DROSDOWA .)
PRASKOWJA
Oh, meine Liebe, ich bin so froh, dir Dascha Schatowa wiederzubringen! Ich selber habe wirklich nicht zu klagen, aber ich glaube, ohne Dascha hätte es diese Verstimmung zwischen deinem Nikolai und meiner Lisa nicht gegeben. Wohlgemerkt, ich weiß nichts Genaues, Lisa ist viel zu stolz und verstockt, um etwas darüber zu sagen. Aber sie zeigen einander die kalte Schulter, Lisa ist tief gekränkt, Gott weiß wodurch, und vielleicht weiß deine Dascha ja etwas darüber, obwohl …
WARWARA
Ich mag solche Andeutungen nicht, Praskowja. Sag mir, was du zu sagen hast. Willst du mir zu verstehen geben, Dascha hätte ein Verhältnis mit Nikolai angefangen?
PRASKOWJA
Ein Verhältnis, Liebe, welch hässliches Wort! Außerdem will ich nichts zu verstehen geben … Ich liebe dich viel zu sehr … Wie kannst du nur annehmen …
(Sie wischt sich eine Träne ab.)
WARWARA
Weine nicht. Ich bin nicht beleidigt. Sag nur einfach, was vorgefallen ist.
PRASKOWJA
Aber nichts, nicht wahr? Er liebt Lisa, ganz sicher, da irre ich mich gewiss nicht. Weibliche Intuition! … Aber du weißt, wie Lisa ist. Wie soll ich sagen – starrköpfig und spöttisch, ja! Und Nikolai ist stolz. So stolz! Wirklich dein Sohn. Nun, er hat die Sticheleien nicht ausgehalten und selber angefangen zu spötteln.
WARWARA
Zu spötteln?
PRASKOWJA
Ja, genau. Lisa hat jedenfalls ständig mit ihm gezankt. Manchmal, wenn sie bemerkte, dass er mit Dascha redete, geriet sie schier außer sich. Wirklich, meine Liebe, es war unerträglich. Die Ärzte haben mir jede Aufregung verboten, und außerdem war mir dieser See so langweilig, und ich hatte Zahnweh. Dann habe ich gehört, dass der Genfer
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