Saemtliche Dramen
See öfter Zahnschmerzen hervorruft, das ist eine seiner Eigenheiten. Schließlich ist Nikolai abgereist. Ich glaube, sie werden sich versöhnen.
WARWARA
Ein kleiner Streit hat nichts zu bedeuten. Außerdem kenne ich Dascha zu gut. Absurd, ganz absurd. Ich werde der Sache auf den Grund gehen.
(Sie läutet.)
PRASKOWJA
Aber nein, wirklich, ich versichere dir …
( ALEXEJ JEGOROWITSCH kommt herein.)
WARWARA
Sage Dascha, dass ich sie sprechen möchte.
( ALEXEJ JEGOROWITSCH geht hinaus.)
PRASKOWJA
Ach, meine Liebe, ich hätte dir nichts von Dascha sagen dürfen. Zwischen ihr und Nikolai hat es nichts gegeben außer ganz alltäglicher Konversation, und zwar so, dass jeder mithören konnte. Jedenfalls solange ich in der Nähe war. Aber Lisas Nervosität hatte mich angesteckt. Und außerdem dieser See, du kannst es dir nicht vorstellen! Er wirkt beruhigend, schon wahr, aber nur, weil er so langweilig ist. Derart langweilig, dass er einen am Ende wieder aufregt!
( DASCHA tritt ein.)
Ach, Daschenka, meine Kleine! Wie schade, dass ich Ihnen adieu sagen muss. Vorbei unsere schönen Gespräche an den Abenden in Genf. Ach! Genf! (Zu WARWARA STAWROGINA ) Auf Wiedersehen, meine Liebe! (Zu DASCHA ) Auf Wiedersehen, meine Kleine, meine Hübsche, mein Liebling, mein Täubchen! (Sie geht hinaus.)
WARWARA
Setz dich dort hin.
( DASCHA setzt sich hin.)
Nimm deine Stickarbeit.
( DASCHA nimmt einen runden Stickrahmen vom Tisch.)
Berichte mir von deiner Reise.
DASCHA (gleichtönig, etwas überdrüssig)
Oh! Ich habe mich recht gut unterhalten, oder vielmehr gebildet. Europa ist gut für die Bildung, ja. Wir sind so rückständig. Und …
WARWARA
Lass Europa beiseite. Hast du mir nicht etwas Besonderes zu sagen?
DASCHA (sieht sie an)
Nein, nichts.
WARWARA
Du hast nichts im Kopf, auf dem Gewissen, auf dem Herzen?
DASCHA (freudlos und fest)
Nichts.
WARWARA
Wusste ich’s doch! Ich habe nie an dir gezweifelt. Ich habe dich wie meine eigene Tochter behandelt, ich unterstütze deinen Bruder. Du würdest doch nie etwas tun, das mir missfallen würde, oder?
DASCHA
Nie, Gott segne Sie.
WARWARA
Hör einmal her. Ich habe über dich nachgedacht. Lass die Stickarbeit und setz dich zu mir.
( DASCHA setzt sich zu ihr.)
Möchtest du heiraten?
( DASCHA schaut sie an.)
Warte, lass mich ausreden. Ich denke an jemanden, der älter ist als du. Aber du bist vernünftig. Er ist ja immer noch ein ansehnlicher Mann. Ich meine Stepan Trofimowitsch, deinen ehemaligen Lehrer, den du immer geschätzt hast. Nun?
( DASCHA schaut sie immer noch an.)
Ich weiß, er ist leichtsinnig und selbstmitleidig, immer auf sich bezogen. Aber er hat Qualitäten, die du schätzen wirst, vor allem, weil ich dich darum bitte. Er verdient es, geliebt zu werden, weil er wehrlos ist. Verstehst du das? ( DASCHA macht eine zustimmende Bewegung. Auftrumpfend) Ich wusste es, ich habe mich nicht in dir getäuscht! Und er wird dich lieben, weil er dich lieben muss! Er muss es! Er muss dich anbeten! Hör her, Dascha, er wird dir gehorchen. Dazu kannst du ihn zwingen, wenn du dich nur ein bisschen klug anstellst. Aber treibe ihn nie in die Enge, das ist die wichtigste Regel in der Ehe. Ach, Dascha, es gibt kein höheres Glück als die Selbstaufopferung. Außerdem tust du mir einen großen Gefallen damit, und das ist das Wichtigste. Aber ich zwinge dich nicht, keineswegs. Die Entscheidung liegt ganz bei dir. Nun, sprich.
DASCHA (langsam)
Wenn es unbedingt sein muss, dann tue ich es.
WARWARA
«Unbedingt sein muss»? Was soll das heißen?
( DASCHA senkt schweigend den Kopf.)
Da hast du aber etwas Dummes gesagt. Ich werde dich verheiraten, ja, aber doch nicht, weil es sein muss, verstehst du mich? Es ist mir in den Sinn gekommen, mehr nicht. Es gibt doch nichts zu verbergen, oder?
DASCHA
Nein. Ich werde tun, was Sie wünschen.
WARWARA
Du willigst also ein. Gut, dann zu den Einzelheiten. Gleich nach der Trauung zahle ich dir fünfzehntausend Rubel. Achttausend davon gibst du Stepan Trofimowitsch. Gestatte ihm, einmal pro Woche seine Freunde zu sehen. Sollten sie häufiger kommen, setzt du sie vor die Tür. Außerdem bin ich ja auch noch da.
DASCHA
Hat Stepan Trofimowitsch mit Ihnen darüber gesprochen?
WARWARA
Nein, noch nicht. Aber das wird er. (Steht jäh auf und wirft sich ihr schwarzes Schultertuch um. DASCHA schaut sie immer noch an.) Du bist undankbar! Was denkst du? Dass ich dich blamieren will? Nein, er wird selber kommen und dich um deine
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