Saemtliche Dramen

Duell weiter.
    (Wie zuvor. GAGANOW tritt an die Schranke, zielt lange auf STAWROGIN , der reglos, mit gesenkten Armen wartet. GAGANOW s Hand zittert.)
    KIRILLOW
    Sie zielen zu lange. Schießen Sie. Schnell.
    (Der Schuss geht los. STAWROGIN s Hut fliegt ihm vom Kopf. KIRILLOW hebt ihn auf und reicht ihn STAWROGIN . Beide untersuchen den Hut.)
    MAWRIKI
    Schießen Sie jetzt Ihrerseits. Lassen Sie Ihren Gegner nicht warten.
    ( STAWROGIN schaut GAGANOW an und schießt in den Himmel. Wutschnaubend läuft GAGANOW weg, gefolgt von MAWRIKI .)
    KIRILLOW
    Warum haben Sie ihn nicht getötet? Jetzt haben Sie ihn nur noch schwerer beleidigt.
    STAWROGIN
    Was hätte ich tun sollen?
    KIRILLOW
    Ihn nicht fordern oder töten.
    STAWROGIN
    Ich wollte ihn nicht töten. Aber wenn ich ihn nicht gefordert hätte, hätte er mich in aller Öffentlichkeit geohrfeigt.
    KIRILLOW
    Dann hätte er Sie eben geohrfeigt!
    STAWROGIN
    Ich verstehe gar nichts mehr. Warum verlangen alle von mir Dinge, die sie von niemandem sonst verlangen? Warum muss ich ertragen, was niemand erträgt, und mir Lasten aufbürden lassen, die kein anderer bewältigt?
    KIRILLOW
    Sie suchen solche Lasten, Stawrogin.
    STAWROGIN
    Ach so? (Pause.) Haben Sie das beobachtet?
    KIRILLOW
    Ja.
    STAWROGIN
    Ist das so deutlich?
    KIRILLOW
    Ja.
    (Stille. STAWROGIN setzt sich den Hut auf und rückt ihn zurecht. Abwesend sieht er KIRILLOW an.)
    STAWROGIN (langsam)
    Man wird der Lasten überdrüssig, Kirillow. Ist es meine Schuld, dass dieser Trottel mich verfehlt hat?
    Dunkel]
    Elftes Bild
    (Bei Warwara Stawrogina. STAWROGIN schläft sehr aufrecht im Sitzen auf dem Sofa, vollkommen reglos, ein Pflaster am kleinen Finger. Er atmet kaum vernehmlich. Sein Gesicht ist bleich und streng, wie versteinert, seine Augenbrauen leicht gerunzelt.
    DASCHA kommt herein und läuft zu ihm, bleibt stehen und sieht ihn an. Sie schlägt ein Kreuzzeichen über ihm. Er öffnet die Augen, bleibt reglos, blickt starr vor sich hin.)
    DASCHA
    Sind Sie verletzt?
    STAWROGIN (sieht sie an)
    Nein.
    DASCHA
    Haben Sie Blut vergossen?
    STAWROGIN
    Nein, ich habe niemanden getötet, und vor allem hat niemand mich getötet, wie Sie sehen. Ein stupides Duell. Ich habe in die Luft geschossen, Gaganow hat mich verfehlt. Ich habe kein Glück. Aber ich bin müde und möchte allein sein.
    DASCHA
    Gut. Ich werde Sie nicht mehr besuchen, Sie schicken mich ja doch jedes Mal fort. Ich weiß, ganz zuletzt werde ich wieder bei Ihnen sein.
    STAWROGIN
    Ganz zuletzt?
    DASCHA
    Ja. Wenn alles vorbei ist, rufen Sie mich, und ich werde kommen.
    STAWROGIN (sieht sie an, scheint jetzt vollends aufzuwachen. Ungezwungen)
    Ich bin so feige und so verdorben, Dascha, dass ich Sie wahrscheinlich ganz zuletzt wirklich rufen werde. Und Sie werden tatsächlich gelaufen kommen, obwohl Sie so klug sind. Aber sagen Sie mir, werden Sie kommen, egal, wie dieses Ende aussieht? ( DASCHA schweigt.) Auch wenn ich bis dahin das schlimmste Verbrechen begangen habe?
    DASCHA (sieht ihn an)
    Wollen Sie Ihre Frau vernichten?
    STAWROGIN
    Nein. Nein. Weder sie noch sonst jemanden. Ich will nicht. Vielleicht die andere, das Mädchen … Vielleicht kann ich nicht anders. Ach, lassen Sie mich allein, Dascha, warum wollen Sie mit mir untergehen? (Er steht auf.)
    DASCHA
    Ich weiß, dass ich ganz zuletzt mit Ihnen allein sein werde, und ich freue mich darauf. Ich bete darum.
    STAWROGIN
    Sie beten?
    DASCHA
    Ja. Seit einem bestimmten Tag bete ich unaufhörlich.
    STAWROGIN
    Und wenn ich Sie nicht rufe? Wenn ich fliehe?
    DASCHA
    Unmöglich. Sie werden mich rufen.
    STAWROGIN
    In Ihren Worten steckt viel Verachtung.
    DASCHA
    Nicht nur Verachtung.
    STAWROGIN (lacht)
    Also auch Verachtung. Das macht nichts. Ich will nicht, dass Sie mit mir untergehen.
    DASCHA
    Das wird auch nicht geschehen. Wenn ich nicht in Ihrer Nähe sein kann, gehe ich ins Kloster oder pflege Kranke.
    STAWROGIN
    Kranke pflegen! Ja, das ist’s! Eigentlich sehen Sie mich mit den Augen einer Krankenschwester. Vielleicht ist es ja das, was ich am nötigsten brauche.
    DASCHA
    Ja, Sie sind krank.
    ( STAWROGIN packt einen Stuhl und wirft ihn ohne sichtbare Anstrengung quer durch das Zimmer. DASCHA schreit kurz auf. STAWROGIN wendet ihr den Rücken zu, setzt sich dann hin. Im Folgenden spricht er ganz ungezwungen, als wäre nichts geschehen.)
    STAWROGIN
    Sehen Sie, Dascha, ich habe jetzt immer wieder Erscheinungen. Eine Art kleine böse Geister. Besonders einer ist da …
    DASCHA
    Sie haben es mir schon erzählt. Sie