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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Ich weiß auch, dass du Caligula töten könntest … und dass er es nicht ungern sehen würde.
    ( CALIGULA tritt ein. HELICON geht hinaus.)
    14 . Szene
    CALIGULA
    Ach, du bist’s.
    (Er bleibt stehen, ein wenig, als suchte er Fassung zu gewinnen.)
    Ich habe dich lange nicht gesehen. (Geht langsam auf ihn zu) Was machst du? Schreibst du noch? Kannst du mir deine letzten Werke zeigen?
    SCIPIO (ebenfalls befangen, zwischen seinem Hass und einem ihm unerklärlichen Gefühl hin und her gerissen)
    Ich habe Gedichte geschrieben, Cäsar.
    CALIGULA
    Worüber?
    SCIPIO
    Ich weiß nicht, Cäsar. Über die Natur, glaube ich.
    CALIGULA (unbefangener)
    Ein schönes Thema. Und ein weites. Wie hat sie auf dich gewirkt, die Natur?
    SCIPIO (wieder Herr seiner selbst, ironisch und boshaft)
    Sie tröstet mich darüber hinweg, dass ich nicht Cäsar bin.
    CALIGULA
    Ach! Und glaubst du, sie könnte mich darüber hinwegtrösten, dass ich es bin?
    SCIPIO (wie zuvor)
    Bestimmt, sie hat schlimmere Wunden geheilt.
    CALIGULA (seltsam ungezwungen)
    Wunden? Du sagst das voller Bosheit. Etwa weil ich deinen Vater getötet habe? Wenn du wüsstest, wie treffend das Wort ist. Wunden! (In einem anderen Ton) Nur der Hass macht die Leute klug.
    SCIPIO (steif)
    Ich habe deine Frage zur Natur beantwortet.
    ( CALIGULA setzt sich, sieht SCIPIO an, fasst ihn plötzlich bei den Händen und zieht ihn mit Gewalt zu seinen Füßen an sich. Er legt die Hände um sein Gesicht.)
    CALIGULA
    Trag mir dein Gedicht vor.
    SCIPIO
    Nein, Cäsar, bitte nicht.
    CALIGULA
    Warum nicht?
    SCIPIO
    Ich habe es nicht bei mir.
    CALIGULA
    Hast du es nicht im Kopf?
    SCIPIO
    Nein.
    CALIGULA
    Sag mir wenigstens, was darin steht.
    SCIPIO (immer noch steif und gleichsam widerwillig)
    Ich sprach darin …
    CALIGULA
    Nun?
    SCIPIO
    Nein, ich weiß nicht …
    CALIGULA
    Versuch es …
    SCIPIO
    Ich sprach darin von einem gewissen Einklang zwischen der Erde …
    CALIGULA (unterbricht ihn selbstvergessen)
    … der Erde und dem Fuß.
    SCIPIO (überrascht, zögert und fährt fort)
    Ja, so ungefähr …
    CALIGULA
    Sprich weiter.
    SCIPIO
    … und von der Linie der römischen Hügel und jenem flüchtigen, aufrüttelnden Frieden, den der Abend darüber senkt …
    CALIGULA
    … vom Ruf der Mauersegler am grünen Himmel.
    SCIPIO (geht etwas mehr aus sich heraus)
    Ja, davon auch.
    CALIGULA
    Und?
    SCIPIO
    Und von jenem flüchtigen Moment, in dem der noch goldüberzogene Himmel jäh umschlägt und im nächsten Augenblick sein anderes, von funkelnden Sternen übersätes Gesicht zeigt.
    CALIGULA
    Von jenem Geruch nach Rauch, Bäumen und Wasser, der dann von der Erde in die Nacht emporsteigt.
    SCIPIO (ganz hingegeben)
    … das Zirpen der Zikaden und die nachlassende Hitze, die Hunde, das Rumpeln der heimkehrenden Wagen, die Stimmen der Bauern …
    CALIGULA
    … und die in Dunkel getauchten Wege zwischen den Mastix- und Ölbäumen …
    SCIPIO
    Ja, ja. Das alles steht darin! Wie bist du nur darauf gekommen?
    CALIGULA (drückt SCIPIO an sich)
    Ich weiß nicht. Vielleicht weil wir dieselben Wahrheiten lieben.
    SCIPIO (schmiegt bebend seinen Kopf an CALIGULA s Brust)
    Oh, es ist einerlei, da in mir ja alles das Antlitz der Liebe annimmt.
    CALIGULA (immer noch einschmeichelnd)
    Das ist die Tugend der Großherzigen, Scipio. Wenn ich wenigstens deine Lauterkeit erleben könnte! Aber ich kenne meine Leidenschaft zum Leben zu gut, sie wird sich nicht mit der Natur begnügen. Du kannst das nicht verstehen. Du bist aus einer anderen Welt. Du bist rein im Guten, wie ich rein bin im Bösen.
    SCIPIO
    Ich kann es verstehen.
    CALIGULA
    Nein. Dieses Etwas in mir, dieser See von Schweigen, diese verfaulten Gräser. (Plötzlich den Ton wechselnd) Dein Gedicht ist bestimmt schön. Aber wenn du meine Meinung hören willst …
    SCIPIO (wie zuvor)
    Ja.
    CALIGULA
    Alldem fehlt Blut.
    ( SCIPIO rückt heftig von CALIGULA ab und blickt ihn voller Grauen an. Immer weiter zurückweichend, schaut er CALIGULA bohrend an und redet mit dumpfer Stimme auf ihn ein.)
    SCIPIO
    Dieses Ungeheuer, dieses verdorbene Ungeheuer! Du hast dich wieder verstellt. Du hast dich verstellt, nicht? Und bist du mit dir zufrieden?
    CALIGULA (mit einem Anflug von Traurigkeit)
    Es ist etwas Wahres an dem, was du sagst. Ich habe gespielt.
    SCIPIO (wie zuvor)
    Was für ein niederträchtiges, blutbeflecktes Herz musst du haben. Oh, wie müssen so viel Böses und so viel Hass dich foltern!
    CALIGULA (sanft)
    Sei jetzt still.
    SCIPIO
    Wie ich dich bedaure, und

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