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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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demnach die Absicht, dich zu vergiften.
    MEREIA
    Ja … ich meine … nein.
    CALIGULA
    Und sobald du glaubst, dass ich beschlossen habe, dich zu vergiften, unternimmst du das Nötige, um dich meinem Willen zu widersetzen.
    (Schweigen. Gleich zu Beginn der Szene sind CAESONIA und CHEREA in den Hintergrund getreten. Nur LEPIDUS verfolgt angstvoll den Dialog.)
    CALIGULA (immer präziser)
    Das sind zwei Verbrechen und eine Alternative, aus der es keinen Ausweg für dich gibt: Entweder wollte ich dich nicht umbringen, und du verdächtigst mich ungerechterweise, mich, deinen Kaiser. Oder ich wollte es, und du Insekt widersetzt dich meinen Plänen.
    (Pause. CALIGULA sieht den Greis voll Genugtuung an.)
    Na, Mereia, was sagst du zu dieser Logik?
    MEREIA
    Sie ist … sie ist unwiderlegbar, Gajus. Aber man kann sie nicht auf diesen Fall anwenden.
    CALIGULA
    Und, drittes Verbrechen, du hältst mich für einen Schwachkopf. Hör gut zu. Von diesen drei Verbrechen ehrt dich nur ein einziges: das zweite, weil der Umstand, dass du mir eine Entscheidung unterstellst und sie hintertreibst, eine Revolte in dir voraussetzt. Du bist ein Volksführer, ein Revolutionär. Das ist gut. (Traurig) Ich habe dich sehr gern, Mereia. Deshalb wirst du wegen deines zweiten Verbrechens und nicht wegen der anderen verurteilt. Du wirst mannhaft sterben, weil du revoltiert hast.
    (Während dieser Rede sinkt MEREIA immer tiefer in seinem Sitz zusammen.)
    Bedank dich nicht bei mir. Das ist ganz selbstverständlich. Da!
    (Er reicht ihm eine Phiole.)
    (Liebenswürdig) Trink dieses Gift.
    ( MEREIA schüttelt haltlos schluchzend den Kopf.)
    (Ungeduldig) Los, los!
    ( MEREIA versucht zu fliehen. Aber CALIGULA holt ihn mit einem unbändigen Satz in der Mitte der Bühne ein, wirft ihn auf einen niedrigen Sitz, zwängt ihm nach einem kurzen Kampf die Phiole zwischen die Zähne und zerbricht sie mit Faustschlägen. Das Gesicht von Wasser und Blut überströmt, stirbt MEREIA nach einigen Zuckungen. CALIGULA richtet sich auf und wischt sich mechanisch die Hände ab.)
    CALIGULA (reicht CAESONIA eine Scherbe von MEREIA s Fläschchen)
    Was ist das? Ein Gegengift?
    CAESONIA (ruhig)
    Nein, Caligula. Ein Mittel gegen Asthma.
    CALIGULA (sieht MEREIA an; nach einer Pause)
    Macht nichts. Es läuft auf dasselbe hinaus. Ein bisschen früher, ein bisschen später …
    (Er geht plötzlich geschäftig tuend hinaus, wobei er sich immer noch die Hände abwischt.)
    11 . Szene
    LEPIDUS (am Boden zerstört)
    Was sollen wir tun?
    CAESONIA (nüchtern)
    Zuerst einmal die Leiche wegschaffen, denke ich. Sie ist zu hässlich!
    ( CHEREA und LEPIDUS ziehen die Leiche hinter die Kulissen.)
    LEPIDUS (zu CHEREA
    Wir müssen schnell handeln.
    CHEREA
    Wir müssen zweihundert sein.
    ( SCIPIO kommt herein. Als er CAESONIA erblickt, macht er Anstalten, wieder zu gehen.)
    12 . Szene
    CAESONIA
    Komm her.
    SCIPIO
    Was willst du?
    CAESONIA
    Komm näher.
    (Sie hebt sein Kinn hoch und schaut ihm in die Augen. Pause.)
    (Kühl) Hat er deinen Vater getötet?
    SCIPIO
    Ja.
    CAESONIA
    Hasst du ihn?
    SCIPIO
    Ja.
    CAESONIA
    Willst du ihn töten?
    SCIPIO
    Ja.
    CAESONIA (lässt ihn los)
    Warum sagst du es mir dann?
    SCIPIO
    Weil ich niemanden fürchte. Ihn töten oder getötet werden, das sind zwei Arten, Schluss zu machen. Im Übrigen wirst du mich nicht verraten.
    CAESONIA
    Du hast recht, ich werde dich nicht verraten. Aber ich will dir etwas sagen – oder vielmehr, ich möchte das Beste in dir ansprechen.
    SCIPIO
    Das Beste in mir ist mein Hass.
    CAESONIA
    Hör mich erst einmal an. Was ich dir sagen will, ist schwierig und einleuchtend zugleich. Wenn es aber wirklich gehört würde, vollbrächte es die einzige endgültige Revolution dieser Welt.
    SCIPIO
    Dann sag es.
    CAESONIA
    Noch nicht. Denk zuerst an das entstellte Gesicht deines Vaters, dem die Zunge herausgerissen wurde. Denk an jenen Mund voller Blut und an jenen Schrei eines gequälten Tieres.
    SCIPIO
    Ja.
    CAESONIA
    Jetzt denk an Caligula.
    SCIPIO (mit hasserfüllter Stimme)
    Ja.
    CAESONIA
    Jetzt höre: Versuch, ihn zu verstehen.
    (Sie geht hinaus und überlässt SCIPIO seiner Ratlosigkeit. HELICON tritt ein.)
    13 . Szene
    HELICON
    Caligula kommt zurück: Wie wär’s, wenn du zum Essen gingest, Dichter?
    SCIPIO
    Helicon! Hilf mir.
    HELICON
    Das ist gefährlich, mein Täubchen. Und von Dichtung verstehe ich nichts.
    SCIPIO
    Du könntest mir helfen. Du weißt vieles.
    HELICON
    Ich weiß, dass die Tage vergehen und dass man schleunigst essen muss.

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