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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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die anderen jetzt bereit, Sie gehen zu lassen, aber erst müssen Sie die Druckpresse und alle Unterlagen herausgeben.
    SCHATOW
    Sie bekommen die Presse.
    PJOTR
    Wo ist sie?
    SCHATOW
    Im Wald, bei der Lichtung von Brykowo. Ich habe alles vergraben.
    PJOTR (mit angedeutetem Lächeln)
    Vergraben? Sehr gut. Wirklich ausgezeichnet.
    (Es klopft. Die Verschwörer kommen herein: LIPUTIN , WIRGINSKI , SCHIGALEW , LJAMSCHIN und ein davongelaufener SEMINARIST . Sie unterhalten sich angeregt, während sie Platz nehmen. SCHATOW und KIRILLOW sitzen in einer Ecke.)
    WIRGINSKI (an der Tür)
    Ah! Da kommt Stawrogin!
    LIPUTIN
    Endlich.
    SEMINARIST
    Meine Herren, ich bin nicht gewohnt, meine Zeit zu vergeuden. Da Sie mich freundlicherweise zu dieser Versammlung eingeladen haben, dürfte ich es wohl wagen, eine Frage zu stellen?
    LIPUTIN
    Wagen Sie nur, mein Lieber, wagen Sie nur immer. Sie erfreuen sich hier allgemeiner Sympathie seit Ihrem Streich, als Sie dieser Hausiererin obszöne Fotografien in die Evangelien geschmuggelt haben!
    SEMINARIST
    Das war kein Streich. Ich habe aus Überzeugung gehandelt, weil ich finde, Gott gehört erschossen.
    LIPUTIN
    Lernt man das im Seminar?
    SEMINARIST
    Nein. Im Seminar leidet man an Gott. Also hasst man ihn. Meine Frage ist jedenfalls: Ist das hier jetzt eine Sitzung, ja oder nein?
    SCHIGALEW
    Ich stelle fest, dass hier schon wieder hohles Zeug geredet wird. Würden die Verantwortlichen uns sagen, warum wir hier sind?
    (Alle sehen PJOTR WERCHOWENSKI an, der sich bewegt, als wollte er zum Sprechen ansetzen.)
    LIPUTIN (hastig)
    Ljamschin, setzen Sie sich bitte ans Klavier.
    LJAMSCHIN
    Wie? Schon wieder? Jedes Mal dasselbe?
    LIPUTIN
    So kann uns niemand belauschen. Spielen Sie, Ljamschin! Um der gemeinsamen Sache willen.
    WIRGINSKI
    Ja bitte, Ljamschin, spielen Sie.
    ( LJAMSCHIN setzt sich ans Klavier und klimpert einen Walzer. Alle blicken PJOTR WERCHOWENSKI an, der, statt zu sprechen, wieder verschlafen dasitzt.)
    LIPUTIN
    Werchowenski, haben Sie uns gar nichts zu sagen?
    PJOTR (gähnt)
    Nichts, nein. Aber ich hätte gern ein Glas Cognac.
    LIPUTIN
    Und Sie, Stawrogin?
    STAWROGIN
    Nein danke, ich trinke nicht mehr.
    LIPUTIN
    Ich meine nicht den Cognac. Haben Sie uns etwas zu sagen?
    STAWROGIN
    Etwas sagen? Worüber denn? Nein.
    ( WIRGINSKI gibt PJOTR WERCHOWENSKI die Cognac-Flasche, der den gesamten Abend über viel daraus trinkt. SCHIGALEW steht auf, mürrisch und düster, und legt ein dickes, mit winziger Schrift beschriebenes Heft auf den Tisch, das alle besorgt ansehen.)
    SCHIGALEW
    Ich bitte um das Wort.
    WIRGINSKI
    Sie haben es. Bitte!
    ( LJAMSCHIN spielt lauter.)
    SEMINARIST
    Verzeihen Sie, Herr Ljamschin, aber man versteht wirklich sein eigenes Wort nicht mehr.
    ( LJAMSCHIN hält inne.)
    SCHIGALEW
    Meine Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit und schulde Ihnen zunächst einige einführende Erläuterungen.
    PJOTR
    Ljamschin, geben Sie mir bitte die Schere dort vom Klavier.
    LJAMSCHIN
    Die Schere? Wozu?
    PJOTR
    Ich will mir die Nägel schneiden, schon seit drei Tagen. Reden Sie weiter, Schigalew, bitte sehr, ich höre sowieso nicht zu.
    SCHIGALEW
    Nachdem ich meine Zeit völlig dem Studium der zukünftigen Gesellschaft gewidmet habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Schöpfer sozialer Systeme seit frühester Zeit bis in unsere Tage nichts als Dummheiten von sich gegeben haben. Daher musste ich ein eigenes Organisationssystem erdenken. Hier! (Er klopft auf das Heft.) Es ist zwar noch nicht ganz fertig ausgearbeitet, erfordert aber schon im jetzigen Stadium eine Diskussion. Ich komme nämlich zu einem Paradoxon: Wenn man von der unbegrenzten Freiheit ausgeht, gelangt man unweigerlich zum unbegrenzten Despotismus.
    WIRGINSKI
    Das wird das Volk wohl kaum schlucken wollen!
    SCHIGALEW
    Ja. Und trotzdem, darauf beharre ich felsenfest, gibt es keine andere Lösung des sozialen Problems, es kann keine andere geben als meine. Sie mag zum Verzweifeln sein, aber sie ist die einzige.
    SEMINARIST
    Wenn ich es recht sehe, ist der einzige Tagesordnungspunkt Herrn Schigalews unermessliche Verzweiflung.
    SCHIGALEW
    Damit haben Sie mehr recht, als Ihnen klar ist. Ja, ich bin zutiefst verzweifelt. Dennoch gibt es keine andere Lösung. Wer sich gegen sie entscheidet, bringt nichts Brauchbares zustande und muss eines Tages darauf zurückgreifen, wohl oder übel.
    SEMINARIST
    Ich schlage vor, wir stimmen ab, ob und wie weit Herrn Schigalews Verzweiflung von Interesse ist und ob wir diese Zusammenkunft

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